Gäubahn-Gespräch von MdB Andreas Jung in Singen

Alles zur Strecke Stuttgart - Singen kann hier rein.
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Vielfahrer
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Gäubahn-Gespräch von MdB Andreas Jung in Singen

Beitrag von Vielfahrer »

Hallo,

das Gäubahn-Gespräch des Konstanzer Bundestagsabgeordneten Andreas Jung hat ca. 30 interessierte Zuhörer und Diskutanten gefunden. Jung veranstaltet ja jedes Jahr ein „Singener Bahngipfele“. Eingeladen hatte er seinen Bundestagskollegen Felix Schreiner aus Waldshut, der auch im Verkehrsausschuss des Bundestags sitzt und auch das erste Referat hielt. Schreiner betonte, dass der Landkreis Waldshut großes Interesse an einer gut funktionierenden Gäubahn hätte, weil der Weg nach Stuttgart von Waldshut aus nicht über Basel - Karlsruhe, sondern über Singen schneller wäre. Er kritisierte die (nicht nur) aus seiner Sicht bestehenden Qualitätsmängel, angefangen von abgesperrten Toiletten, unzuverlässigen Anschlüssen, dem Einsatz von veraltetem Wagenmaterial usw. Dabei wolle er nicht auf die aktuelle Regierung eindreschen. Schon unter früheren Regierungen von Angela Merkel hätte man ebenso der Bahn viel zu wenig finanzielle Mittel gewährt. Das räche sich nunmehr. Appelle, die Bahn aus Klimaschutzgründen stärker zu nutzen, würden dann fehlschlagen, wenn die Qualität der Bahnfahrt nicht stimmig sei. Deshalb sei es notwendig, nicht nur auf der Gäubahn, sondern auch auf der Hochrheinstrecke oder der Bodenseegürtelbahn die Zuverlässigkeit und die Qualität deutlich zu verbessern.

Schreiner begrüßte die geplante Verbindung zwischen St. Gallen, Konstanz, Singen, Schaffhausen, Waldshut und Basel, die nach der Elektrifizierung des Abschnitts Basel - Waldshut - Erzingen durchgängig elektrisch von den SBB befahren werden soll. Dazu der Ulmer Zug über Friedrichshafen - Radolfzell - Singen nach Basel, das sei dann ein attraktives Angebot. Die Schweiz, so Schreiner, sei der wichtigste wirtschaftliche Partner Baden-Württembergs. Es werde von baden-württembergischen Firmen mehr in die Schweiz exportiert als etwa nach Amerika. Und der Hochrhein bzw. die Bodenseeregion grenzen unmittelbar an die Schweiz. Deshalb sei die Gäubahn eine sehr wichtige Strecke.

Jung mahnte die Zuverlässigkeit der Bahn insbesondere auch im Güterverkehr an. Wenn Termine nicht eingehalten werden, sei es verständlich, dass entgegen aller Absichten der Politik sich der Güterverkehr weiterhin auf die Straße verlagere.

Wie fast zu erwarten gewesen war, wurde die SBB hinsichtlich ihres Sevices und ihrer Zuverlässigkeit gelobt und die Deutsche Bahn entsprechend kritisiert. Sehr schlecht kamen die teils monatelangen und häufigen Vollsperrungen bzw. SEV-Verkehre weg. DB-Netz würde bei Vollsperrungen viel preiswerter bauen, aber die Verkehrsunternehmen müssten sich um den SEV kümmern. Sinnvoll sei es, wenn DB-Netz den SEV bereitstellen müsse. Vielleicht würde es dann besser funktionieren.

Bezüglich der Gäubahn, die nun schon monatelang auf über 100 km im SEV über die A 81 betrieben wird, gab es etliche Klagen. Moniert wurde, dass die IC-Züge Horb - Stuttgart selbst dann abfahren, wenn zur gleichen Minute der SEV aus Singen eintrifft. Reisende aus der Schweiz stünden dann 1 Stunde lang in Horb herum. Den Klagen zufolge sei es einem Informationsdefizit zwischen Zug- und Buspersonal geschuldet. Man könne es niemanden verdenken, wenn er nach solchen Erfahrungen zukünftig sich gleich ins eigene Auto setzt. In der Tat, wie ich von Singen zurückgefahren bin, waren im SEV-Bus bis Rottweil gerade mal noch 19 Fahrgäste, bis Horb waren es sogar nur 10. Auf der Hinfahrt nach Singen fuhren zwei Busse. In meinem Bus waren ca. 30 Fahrgäste, im zweiten Bus südlich Rottweils nur zwei.
Ein Eisenbahner aus dem Landkreis Konstanz kritisierte, dass in seinem Landkreis nur noch in Singen aktuelle Ansagen vor Ort möglich wären. In Radolfzell und Konstanz kämen die aus Ulm und wohl nicht immer ausreichend.

Neu für mich war, dass angeblich die SBB zum Zeitpunkt des Endes der ICE-Triebzüge angeboten hätte, die Strecke zwischen Schaffhausen und Stuttgart zu übernehmen und die DB dies abgelehnt hätte, wie ein Diskutant sagte. Meinem Kenntnisstand zufolge ist der aktuelle Verkehr auch nicht ausgeschrieben worden, sondern es handelt sich um einen eigenwirtschaftlichen Verkehr von DB-Fernverkehr, der vom Land Baden-Württemberg auf dem Verhandlungswege Zuschüsse erhält, damit im Gegenzug dafür Fahrkarten des Regionalverkehrs zwischen Konstanz und Stuttgart von DB-Fernverkehr anerkannt werden.

Nachdem der Ausbau der Gäubahn sich nun schon viele Jahrzehnte hinzieht, forderte ein Diskutant, dass man wenigstens jetzt planen sollte, wo Doppelspuren, Beschleunigungen usw. südlich von Böblingen gebaut werden sollten. Dazu solle man endlich einen Masterplan aufstellen. Schreiner: „Den Begriff Masterplan kann ich schon gar nicht mehr hören.“

Unter den Diskussionsteilnehmern waren u.a. auch VCD-Mitglieder, die sich gegen den Pfaffensteigtunnel wegen des enormen CO2-Ausstoßes beim Bau des Pfaffensteigtunnels gegen diesen aussprachen. Dies sollte Herrn Jung in seiner Funktion als klimaschutzpolitischer Sprecher nachdenklich machen. Nach ihrer Ansicht sollte die bestehende Strecke über die Panoramabahn in den Kopfbahnhof beibehalten werden. Angezweifelt wurde auch, ob angesichts der jüngsten Gerichtsurteile in Sachen Bundeshaushalt überhaupt noch Geld da wäre, diesen Tunnel zu bezahlen. Auch die Ertüchtigung der Hochrheinstrecke würde erheblich teurer, von der Bodenseegürtelbahn ganz zu schweigen. Hunderte Millionen würden da benötigt. Es bestehen erhebliche Zweifel, ob die tatsächlich vorhanden sind und zwar unabhängig, ob es Bundes- Landes- oder kommunale Steuergelder sind.

Extrem schlecht wäre die Verbindung aus dem Landkreis Konstanz etwa nach Tuttlingen. Tuttlingen sei nur über den Ringzug an Rottweil angebunden und der SEV würde ab Singen erst wieder in Rottweil halten. Vom Seehas müsse man in Engen und Immendingen nach Tuttlingen umsteigen. Notwendig sei es, den Seehas bis Tuttlingen oder Immendingen zu verlängern. Der Nutzen einer solchen 19 km langen Norderweiterung erscheint allerdings dann in anderem Licht, wenn pro km Durchschnittskosten von 10.- € angesetzt werden. Bei 17 Zugpaaren an 365 Tagen wären das Zusatzkosten von knapp 2,4 Mio. € pro Jahr bei vergleichsweise geringem Nutzen, denn entweder würde der Seehas in Engen durch den IC überholt und müsste in Hattingen auf den Gegen-IC warten und bliebe in Tuttlingen ohne Anschlüsse oder er müsste zur vollen Stunde ab Singen bis Tuttlingen fahren und hätte dort längere Wartezeiten auf den IC in Richtung Stuttgart.

Ein Fragesteller wollte von den Herren Schreiner und Jung wissen, wie sie die Klage der Deutschen Umwelthilfe einschätzen. Beide Abgeordnete waren vorsichtig genug, hier keine Prognosen abzugeben, obwohl z.B. Herr Jung erwähnte dass er ein Jura-Studium absolviert hat.

Mein Eindruck war, dass es eine gewisse Ratlosigkeit im Süden des Ländles gibt. Viel mehr als eine Hoffnung auf ein entsprechendes Urteil scheint es nicht zu geben. Immerhin, die beiden Abgeordneten boten einen Rahmen, in welchem sich Betroffene äußern konnten.

Eine Redakteurin des Südkuriers war die ganze Veranstaltung über anwesend. Vermutlich wird in den Südkurier-Ausgaben Konstanz und Waldshut über die Veranstaltung berichtet werden.

Viele Grüße vom Vielfahrer
officerc
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Re: Gäubahn-Gespräch von MdB Andreas Jung in Singen

Beitrag von officerc »

Hallo Vielfahrer,

vielen Dank für den ausführlichen Bericht. Nach deiner Ankündigung hier im Forum hatte ich mal nach der Veranstaltung gesucht aber nicht mal bei Hr. Jung auf der Webseite dazu eine Ankündigung oder ähnliches gelesen.

Das Gäubahnthema ist schon spannend aber auch sehr schockierend für mich als regelmäßigen Nutzer (alle zwei Wochen Pendel Tuttlingen-Heilbronn). Ich möchte gar nicht wissen, wie es den täglichen Pendlern geht. Da sind wahrscheinlich die allermeisten schon auf ein Auto umgestiegen weil das tut sich doch niemand freiwillig auf Dauer an. Ich bin mittlerweile auf die Strecke Sigmaringen-Stuttgart ausgewichen aber es ist ja auch nicht so, dass es da arg besser läuft.

Die Politiker geben für mich da fast alle ein Trauerspiel ab, allen voran die Gäubahn-Bürgermeister, die sich dann mit einer versprochenen S-Bahn abspeisen lassen. Ich denke, jedem, der die Gäubahn einmal von Singen bis Stuttgart gefahren ist, ist das völlig klar. Irgendwie geben sich da alle total machtlos. In der Diskussion kommt auch immer viel zu kurz, dass 2032 nie und nimmer ein Tunnel dieser Länge fertiggestellt ist. Im besten Fall ist da Baubeginn. Dass man im Jahr 2023 Infrastruktur aktiv zurückbaut ist schon erstaunlich.
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