Kündigung des Finanzierungsvertrags Land - Ringzug

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Vielfahrer
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Kündigung des Finanzierungsvertrags Land - Ringzug

Beitrag von Vielfahrer »

Hallo,

wie dieNeue Rottweiler Zeitung auf Nachfrage im Landratsamt Rottweil berichtet, hat das Land Baden-Württemberg den Vertrag zwischen dem Zweckverband Ringzug und dem Land gekündigt. Der Vertrag war zunächst auf 10 Jahre angelegt gewesen, hat sich aber seither stillschweigend jeweils um ein Jahr verlängert, konnte aber mit einer Kündigungsfrist von 1 Jahr zum Fahrplanwechsel im Dezember jeweils gekündigt werden. Diese Kündigung ist nun auf den Fahrplanwechsel 2021/22 erfolgt.

Für die Kunden bedeutet dies zunächst nichts. Die Ringzüge wurden schon bisher vom Land bestellt und werden es auch weiterhin, zumal das Land der nach dem Gesetz vorgesehene Aufgabenträger ist. Gekündigt wurde der Finanzierungsvertrag zwischen dem Land und dem Zweckverband, also den 3 Landkreisen. Ging man im Jahre 2003 zunächst davon aus, dass die Kosten und Erlöse zu 50 % von jedem Partner anteilig getragen werden, so hat sich dieses Verhältnis in den zurückliegenden Jahren immer stärker zu Lasten des Landes verschoben. Die Gründe dafür sind vielfältiger Natur. Eine wesentliche Rolle spielten dabei u.a. die Zuschüsse nach § 6a AEG, die aufgrund der Nachfrageentwicklung viel höher ausfielen als zunächst erwartet bzw. kalkuliert. Mit der Umwandlung von VT 612-Leistungen in Ringzugleistungen auf der Strecke Rottweil - Villingen bzw. der Breisgau-S-Bahn auf der Strecke Villingen - Hüfingen-Mitte gab es weitere erhebliche Verschiebungen. So ist verständlich, dass die Landkreise nicht für "Ringzüge" zahlen möchten, die sie zuvor als DB-Leistung voll vom Land bezahlt bekommen haben. Das Land hat deshalb bei diesen Ringzügen 100 % der Kosten schon bisher getragen. Es gibt Fahrten von Bräunlingen z.B. nach Leipferdingen, die im Abschnitt Bräunlingen - Villingen als Ringzug fahren (Kostenteilungsphilosophie 50:50), dann weiter nach Rottweil zu 100 % finanziert durch das Land und anschließend wieder als 50:50-finanzierter Ringzug nach Leipferdingen. Kostenmäßig lässt sich dies ja noch einigermaßen sauber regeln, aber was ist mit den Erträgen? Irgendwie ist es doch logisch, dass das Land bei Zügen, die es zu 100 % bezahlt, auch 100 % der in diesen Zügen erzielten Einnahmen gegenrechnen möchte. Insbesondere auf der Strecke Rottweil - Villingen, einer recht gut genutzten Ringzugverbindung, ändert sich der Finanzierungsschlüssel von Zug zu Zug und es ist nicht einfach, hier die Erlöse sauber zuzuscheiden. Aus dieser Sicht betrachtet ist es eine klare Lösung, dass das Land komplett den Ringzug bezahlt und dann auch komplett die Einnahmen erhält. Was auf der Schiene eingenommen wird, das ist dann Landesgeld, wie etwa auch bei vielen anderen Leistungen des Nah- und Regionalverkehrs, was auf Buslinien eingenommen wird, ist Geld der Landkreise, sofern sie den Verkehr über Bruttoverträge geregelt haben (Tuttlingen seit Jahrzehnten, der Schwarzwald-Baar-Kreis seit gut einem Jahr und vermutlich bald im ganzen Landkreisgebiet), lediglich in Rottweil, wo die Busverkehre durchweg eigenwirtschaftlich organisiert sind, verbleiben die Einnahmen dann bei den Busunternehmen.

Die Zusammenarbeit zwischen Zweckverband und Land war die vergangenen fast 20 Jahre gut. Das Land hat alle konstruktiven Überlegungen immer aufgegriffen und gut umgesetzt, siehe etwa die Entwicklung des Bahnverkehrs zwischen Rottweil und Bräunlingen, wo inzwischen im Prinzip der Landesstandard (von 5 - 24 Uhr ein täglicher Stundentakt) schon umgesetzt ist. Kern des Ringzuggedankens ist aber nicht ein im Ring herumfahrender Nahverkehrszug, sondern die Vernetzung der Buslinien mit der Schiene im Ringzuggebiet. Die Busse bedienen die Zubringerleistungen aus der Fläche, der Zug fährt die Fahrgäste weiter in die entlang der Schiene liegenden Zentren.
Sofern dieses Prinzip nicht angetastet wird, ist gegen die Kündigung eigentlich nichts einzuwenden.

Dass das Land - teilweise im Gegensatz zu der kommunalen Seite - viel offensiver an den Schienenverkehr herangeht, sieht man aktuell etwa im Raum Rottweil. Gut vorstellbar, dass man es dort begrüßt, dass man zukünftig weniger damit zu tun haben könnte.

Ein weiterer Grund dürfte aber auch sein, dass der Ringzug über kurz oder lang neue Fahrzeuge benötigt. Diese hat das Land bereits und will sie nach erfolgter Elektrifizierung im Ringzuggebiet einsetzen. Und landesweit geht der Trend ohnehin zu Bruttoverträgen des Landes mit den Verkehrsunternehmen, da wäre dann der Ringzug keine Sonderentwicklung mehr. Sofern sich also aus der bisherigen Philosophie "Bahn und Bus aus einem Guß" nichts wesentliches ändert, ist die Kündigung des Finanzierungsvertrags eigentlich eine logische Folge eingetretener Entwicklungen.

Viele Grüße vom Vielfahrer
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Villinger
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Re: Kündigung des Finanzierungsvertrags Land - Ringzug

Beitrag von Villinger »

Guten Abend,

Sinn macht das durchaus, bisher (?) musste man ja auch bei Verkehrsverlagerungen diskutieren, inwiefern das mit den jeweiligen Bausteinen zusammenpasst da im alten Vertrag dies ja recht unflexibel festgeschrieben war. Bisher hatten die Landkreise ja Mitspracherecht beim Verkehr, wird das in Zukunft wegfallen?

Ich erinnere mich auch an kleine Runden nach den Fahrplankonferenzen in Villingen, wo man mehr oder weniger den Diskussionen um den endgültigen Fahrplan folgen konnte. Das klang immer recht konstruktiv zwischen den Landkreisen und der NVBW.
Interessant wäre dann auch, ob das Land dann ab 2022 den Landesstandard stellenweise schon vor der Voll-Elektrifizierung 2027 durchsetzt. Ich denke da besonders an Löcher im Fahrplan ab dem Samstagmittag, und ob man sich mit dem aktuell wieder fahrenden Spätverkehr rund um Tuttlingen anfreundet. Gerade der hatte glaube ich nicht viele Führsprecher am Stuttgarter Wilhelmplatz.
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Vielfahrer
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Re: Kündigung des Finanzierungsvertrags Land - Ringzug

Beitrag von Vielfahrer »

Hallo,

sehe ich ähnlich. Das Land war in der Vergangenheit immer sehr aufgeschlossen, wenn es um konstruktive und gute Lösungen ging. Im Rahmen des finanziellen Deckels, definiert durch 1,241 Mio. Zugkm/a, konnte der Zweckverband vieles gemeinsam mit dem Land optimieren und wenn er mehr wollte, um z.B. zusätzlich zum Stundentaktverkehr noch bessere Schülerverbindungen, so konnte er dies bislang auch schon, musste es jedoch außerhalb des Vertrags selbst bezahlen. Bei Buslinien wäre das ja genauso gewesen. Da ja noch die gleichen Leute zusammenarbeiten, würde ich davon ausgehen wollen, dass die gute Zusammenarbeit der vergangenen Jahre, die das Produkt Ringzug eigentlich fast von Fahrplan zu Fahrplan besser gemacht hat, beibehalten wird. Die Definition von Ringzugbausteinen mag zwar etwas starr klingen, kam allerdings daher, dass beispielweise der Schwarzwald-Baar-Kreis Angebotsverbesserungen weder in Tuttlingen noch in Rottweil finanzieren wollte, diese beiden wiederum weder gegenseitig noch im Schwarzwald-Baar-Kreis. Jeder musste also schauen, wie er mit seinen Kilometern hingekommen ist. Weil es bei dem einen oder anderen mal geschickter gelaufen ist, wurden nicht alle Zugkilometer verbraucht und die Landkreise haben dann untereinander die Kilometer sich zugeschoben. Verbindungen etwa über Tuttlingen hinaus in Richtung Engen - Singen hat schon immer das Land außerhalb des 1,241 Mio. Zugkm-Plafonds gesponsert, weil es darin eine überregionale Bedeutung gesehen hat.

Viele Grüße vom Vielfahrer
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Re: Kündigung des Finanzierungsvertrags Land - Ringzug

Beitrag von Vielfahrer »

Hallo,

am Rande einer ganz anderen Besprechung habe ich dieser Tage vernommen, dass die Kündigung des Vertrags mit dem Zweckverband Ringzug auf Jahresende vom Land zurückgenommen worden sein soll, zumindest mal auf die nächste Zeit soll es also weiterlaufen wie bisher. Ich könnte mir aber schon vorstellen, dass mit der zum Zeitpunkt der Aufnahme des elektrischen Betriebs im nahezu gesamten Ringzug-System, wenn also auch per Ausschreibung ein Betreiber gesucht werden muss, dann das Land wir andernorts meist auch als Aufgabenträger das alleine regelt. Da derzeit der Ringzug recht rund läuft, wenn man von dem Pandemie-bedingten Einbruch der Nachfrage mal absieht, kommt vielleicht auch noch der eine oder andere Lückenschlusszug zwischen Donaueschingen und Tuttlingen oder der eine oder andere Abendzug/Wochenendzug noch dazu, ist es auch nicht schlecht, wenn die bestehende Organisation bzw. Arbeitsaufteilung weiterhin Bestand haben kann.

Auch bei der Bodensee-Oberschwaben-Bahn, einer in gewisser Hinsicht mit dem Ringzug vergleichbaren Organisationsform, sind die Gesellschafter (Bodenseekreis, Landkreis Ravensburg, Städte Friedrichshafen und Ravensburg sowie die Gemeinde Meckenbeuren) weiterhin mit im Boot. Hier werden sogar die stilvollen dunkelblauen RegioShuttle zum Dezember diesen Jahres durch 426er ersetzt, um nicht wie beim Ringzug mit Diesel unter Fahrdraht fahren zu müssen. Die Betriebskonzepte für die Südbahn, die Allgäubahn, die Bodenseegürtelbahn und die Linie Aulendorf - Kißlegg - Leutkirch/Wangen stehen fest, wobei es kommunale Initiativen (sog. "Allgäuer Ringzug") gibt, auf der Achse Leutkirch - Ravensburg zu einem attraktiveren Verkehrsangebot zu kommen. Während man für die ca. 140 km von Leutkirch nach München umsteigefrei in weniger als 90 Minuten kommt, benötigt man für die 40 km nach Ravensburg mit Bus und Bahn oftmals genau so lang und man muss zudem noch ein bis zweimal bei knappen und teilweise nicht funktionierenden Anschlüssen umsteigen.

Und weiter geht es auch mit der Wehratalbahn. Nachdem nunmehr das Land einen konkreten Anforderungskatalog für Reaktivierungsstudien erstellt hat, der abzuarbeiten ist, wenn 75% Zuschuss vom Land kommen sollen, nehmen Vertreter der kommunalen Seite die Suche nach entsprechenden Experten in die Hand. Dies gilt auch für die Kandertalbahn, bei welcher insbesondere das von ptv (Landesgutachter) erstellte Gutachten für den Abschnitt Kandern - Haltingen durch eine Durchbindung bis Basel SBB um grenzüberschreitende Aspekte erweitert werden soll. Da ausgesprochen starken Pendlerströme aus diesem Raum nach Basel und darüberhinaus gehen und Autopendler in Basel Land und Basel Stadt eher unerwünscht sind, die Busse aber auch oftmals im Stau stehen, könnte eine flotte Direktverbindung durchaus interessant werden.

Und voran geht es auch jenseits der baden-württembergischen Grenze auf Strecken, die mit dem BW-Ticket aber befahren werden können, nämlich Ulm - Memmingen, wo neue Haltestellen südlich von Kellmünz in Pleß, Fellheim, Heimertingen, Amendingen, Memmingen Klinikum/Berufsschulzentrum und Buxheim sowie Hergensweiler, Schlachters, Weißenberg, Oberreitnau und Lindau-Aeschach kommen werden. Diskutiert wird auch ein Halt in Mittelurbach oder in Bad Waldsee-Therme und an der Bodenseegürtelbahn in Espasingen und Lipbach.

Auch über die zusätzlichen
Halte im Ringzuggebiet, allen voran Tuttlingen Stadtmitte (Sonnenbuckel) und Rottweil Stadtmitte wird diskutiert und auf eine Umsetzung zum Zeitpunkt der Aufnahme des elektrischen Betriebs hingearbeitet. All diese Maßnahmen sollen dem Ziel dienen, die Nachfrage deutlich zu steigern und stellen sich als ein Mosaiksteinchen bezüglich des angestrebten Verdoppelungsziels der Nachfrage dar.

Viele Grüße vom Vielfahrer
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