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Auf Sumpf gebaut

Verfasst: Di 10. Sep 2019, 12:47
von Vielfahrer
Hallo,

dieser Tage erschien im Schwäbischen Tagblatt Tübingen ein längerer Artikel über die Ammertalbahn. Berichtet wurde, dass der Untergrund Probleme macht. Für den Ausbau der Zugstrecke werden bis zu 25.000 Kubikmeter Erde zu neuen Bahndämmen aufgeschüttet. Die Redakteurin Uschi Hahn hat dabei recherchiert:

Schon die Erbauer der Ammertalbahn hatten in den Jahren bis zur Eröffnung der Gesamtstrecke am 1. Mai 1910 heftig mit dem Untergrund zu kämpfen. Eigentlich sollte die Bahn bereits 1909 bis zum Tübinger Westbahnhof führen. Doch dann passierte noch während der Bauarbeiten eine Katastrophe: In nur einer Nacht versank der bereits fertige Bahndamm östlich des Pfäffinger Bahnhofs "eineinhalb Meter tief im Boden". So zumindest wurde es von Frieder Miller von Zeitzeugen Berichtet. Miller, heute 83 Jahre alt, war zwischen 1961 und 1971 Bürgermeister im damals noch selbständigen Pfäffingen.
In dem Jubiläumsband "Angelokt" über 100 Jahre Ammertalbahn schreibt der Tübinger Kreisarchivar Wolfgang Sannwald unter der Überschrift "Württembergs tiefster Sumpf": "Deshalb mussten die Arbeiter den schon befahrbaren Damm wieder vollständig abräumen. Erst nachdem sie 13 Meter lange Eichenpfähle eingrammt, die Senkung verfüllt und eine versunkene Durchlassdohle erneuert hatten, konnte die Trasse freigegeben werden."
Aber wie stabil ist diese Gründung heute? Miller ist sich sicher, dass der Wasserspiegel an der Stelle seither gesunken ist. "Allein schon durch die Kanalisation", dagt der einst jüngste Bürgermeister im Landkreis. Demzufolge müssten die seiner Einschätzung nach bis auf zu einer Strecke von 400 Metern versenken Eichenstämme inzwischen nicht mehr vollständig im Sumpf stecken. Sie wären also nicht mehr vom Sauerstoff abgeschlossen und würden damit faulen. Weder Dieter Braun, Geschäftsführer der Ammertalbahn, noch der Projektleiter für den Ausbau Uwe Heim wussten bisher von den Eichenstämmen. Doch beide sind gelassen, was die Stabilität des Bahndamms an dem neuralgischen Punkt betrifft. "Das wird nicht so sein, dass sie alle auf einmal zusammenbrechen", sagt Braun über die Eichenstämme und verweist auf Messungen: "Wir untersuchen regelmäßig die Schienen auf Absenkungen".
"Die Verhältnisse da sind nicht so wie in Venedig", sagt Heim. In dem Bereich befinde sich "ein verlandeter See". Es handele sich um "wassergesättigten Torf". Der Sumpf, in dem die Holzstämme stecken, sei immer noch 16 Meter tief.

Die Planer des Umbaus der Ammertalbahn zur Regionalstadtbahn waren also vorgewarnt: Das Gewann zwischen dem ehemaligen Breitenhölzer Bahnhof, wo heute die Recyclingfirma Steinel ihr Material lagert, und auf dem Hardtwald heißt See. Wie treffend dieser Nahme ist, weiß man sei den Bodensondierungen in den Osterferien. Ausgerechnet da, wo ein neues Gleis künftig den Begegnungsverkehr für die Züge zwischen Tübingen und Herrenberg ermöglichen soll, war der schon 1909 gebaute Bahndamm so aufgeweicht, dass er dem Druck des zweiten Damms nicht standgehalten hätte.
Deshalb war hier in den vergangenen Wochen erst einmal Abriss statt Aufbau angesagt.Auf etwa 200 Metern fraßen sich Bagger in den 30 Meter breiten und bis zu 8 Meter hohen Damm. Gut 10.000 Kubikmeter Erdreich mussten weggekarrt werden, 20 Schwerlaster waren dafür im Einsatz. "Früher haben die das genommen, was sie in der Nähe gehabt haben", kommentiert Projektleiter Uwe Heim die Qualität des Dammmaterials.
Durch den Druck der Dieselfahrzeuge auf den Schienen versank die Dammlage immer tiefer im sumpfigen Untergrund. "Wir haben hier in den vergangenen Jahren insgesamt 40 Zentimeter aufgeschottert," verdeutlicht Heim das Problem. Die Mehrkosten durch den Abbruch des alten Damms beziffert er auf rund 350.000 Euro. Damit ist das Modul 1 der neuen Regionalstadtbahn schon jetzt 1 Million Euro teurer als die 122 Millionen Euro, die ursprünglich veranschlagt waren. Denn wie berichtet soll am Altinger Bahnhof ein Baugleis gebaut werden, um den Materialtransport zu erleichtern.
Bevor nun am Hardtwald der Damm für die neue zweigleisige Anlage wieder aufgeschüttet wird, tragen die Bauleute eine Schicht aus Weißkalk und Zement auf dem matschigen Boden auf. Diese Mineralisierung soll den neuen Bahndamm stabilisieren, wie der Projektleiter für den Ausbau und die Elektrifizierung der Ammertalbahn erklärt.
Das gleiche stabilisierende Bett wird an der zweiten neuen Ausweichstelle zwischen dem Unterjesinger Bahnhof und der stählernen Bahnbrücke über die Ammer beim Ammerhof eingebaut. Erst dann wird auch hier der zweite Damm aufgeschüttet. Für die neuen Dämme werden weitere 20.000 bis 25.000 Kubikmeter Erde bewegt. Das Material, stabiler Gipskeuper, kommt direkt aus dem Hardtwald, so deshalb auf einem halben Hektar Fichtenwald abgeholzt wurde. "Wir werden das als Eichenwald wieder aufforsten" sagt Uwe Heim über die Renaturierung.

Vom Hardtwald transportieren LKW das Erdreich nach Unterjesingen für den dortigen Erweiterungsdamm. Um die Touren der bis zu 40 Tonnen schweren Laster von der Bundesstraße runter zum Depot an der Unteren Mühle und zurück durch den Ort zu ermöglichen, wurde in der Ortsmitte eine Panzerbrücke über den Ammerkanal erreichtet. Bis zum 3. November sollen die Dammarbeiten abgeschlossen sein. "Zur Zeit sieht es so aus, als ob wir früher fertig sind", gibt sich Heim optimistisch.

Fürs kommende Jahr sind die Gleisarbeiten an den Begegnungsstrecken terminiert; außerdem sollen die Fundamente für die alle 60 Meter geplanten Strommasten in die Erde kommen. Denn aber dem Jahr 2022, so die Zeitplanung, soll en die Züge nicht nur häufiger fahren. Statt der alten Dieselfahrzeuge sollen auf den 21,3 Kilometern zwischen Herrenberg und Tübingen Elektrozüge die Fahrgäste ans Ziel bringen.
Schon jetzt ist klar: Auch beim Setzen der Strommasten macht der sumpfige Untergrund im Ammertal Probleme. An vielen Abschnitten der Strecke ist ein aufwändiges Fundament nötig, wie Dieter Braun, Geschäftsführer des kommunalen Zweckverbands für den ÖPNV im Ammertal, sagt. Der Leiter der Verkehrsabteilung im Tübinger Landratsamt spricht von bis zu vier Pfählen, die zur Gründung eine einzigen Masten in den instabilen Untergrund gerammt werden müssen. Dabei werden gusseiserne Rohre mit Beton verfüllt, der am unteren Ende des Rohres herausquillt und "wie ein Anker" wirkt, wie Braun erklärt.


Und heute, Dienstag, 10. September, erscheint ein weiterer Bericht:

Ammertalbahn drei Wochen früher fertig.

Die Arbeiten an der Ammertalbahn gehen zügiger weiter als gedacht. Die komplette Strecke zwischen Tübingen und Herrenberg soll bereits am Montag, den 14. Oktober wieder mit Zügen befahrbar sein und damit drei Wochen früher als geplant, teilt der im Tübinger Landratsamt sitzende Zweckverband für den ÖPNV im Ammertal mit. Bis zum 13. Oktober bleibt der Abschnitt zwischen Entringen und Altingen gesperrt. Wie berichtet, wurde hier ein Stück maroder Bahndamm abgetragen, der nun in doppelter Breite wieder aufgeschüttet wird, um künftig Begegnungsverkehr zu ermöglichen. Um den Lückenschluss zu überbrücken, werden weiterhin Busse als Schienenersatzverkehr (SEV) eingesetzt. Mit dem Schulstart am morgigen Mittwoch änder sich der Fahrplan für den SEV. So wird für die Ammerbucher Gemeinschaftsschule ein eigener Schulfahrplan mit Zusatzkursen eingerichtet. In Unterjesingen übernimmt bis zur Freigabe der Bahnübergänge im Berufsverkehr ein Bahnhelfer die Sicherungsschaltungen, indem er anstelle des Lokführers das Einschalten der nachfolgenden Bahnübergänge übernimmt.

Viele Grüße vom Vielfahrer