IHK-Verkehrsausschuss befasst sich mit Auswirkungen der Pandemie

Sonstiges, worüber man sich das "Maul" zerreisen kann.
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Vielfahrer
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IHK-Verkehrsausschuss befasst sich mit Auswirkungen der Pandemie

Beitrag von Vielfahrer »

Hallo,

nach langer Corona-bedingter Unterbrechung tagte heute mal wieder der Verkehrsausschuss der Industrie- und Handelskammer in Villingen-Schwenningen.

Dr. Lehmann, Vorsitzender des Verkehrsausschusses, konnte doch zahlreiche Ausschussmitglieder begrüßen. Im ersten Tagesordnungspunkt ging es um die Fragen, die die Transportwirtschaft angesichts der Corona-Pandemie derzeit bewegen. Ich habe aus der Diskussion mitgenommen, dass das LKW-Personal wirklich harte Zeiten durchmacht. Bei vielen Betrieben, wo sie ihre Ladung abliefern müssen, dürfen sie mehr oder weniger nur noch auf den Hof und schon gar nicht in die Firmengebäude, erst recht nicht die Firmentoiletten benutzen, begründet mit betrieblicher Pandemie-Vorsorge. Es bliebe oftmals nichts anderes übrig, als sich in die Büsche zu schlagen. Als Folge davon würden teilweise Kommunen LKW-Parkplätze sperren, um solche Hinterlassenschaften zu vermeiden. Kurz, es fehlt komplett an einer entsprechenden Infrastruktur für das Fahrpersonal, welches, um mit den Worten eines Spediteurs zu sprechen, ja den Laden mit am Laufen hält. Die Arbeitsbedingungen müssen sich also offenbar stark verschlechtert haben.

Eine löbliche Ausnahme stellt die Fa. Straub-Verpackungen aus Blumberg/Bräunlingen dar. Deren Vertreter berichtete, dass seine Firma, bei der bis zu 150 LKW am Tag abgeladen/beladen würden, durchaus Verständnis für das Fahrpersonal hätte. So sind dort Toiletten und Duschräume auch für fremde LKW-Fahrer eingerichtet worden, die ohnehin mehrfach am Tag gereinigt und desinfiziert würden. Man wolle damit dem Fahrpersonal die notwendige Wertschätzung entgegen bringen.

Weitere Fragen drehten sich um die Logistik bei der Verteilung der demnächst erwarteten Impfstoffe, hier wird jedoch – ähnlich wie bei der Einführung der Euro-Währung vor vielen Jahren – die Sicherheit der Transporte im Vordergrund stehen, weshalb für das Speditionsgewerbe wohl wenig zu tun sein wird, zumal die Impfstoffe teils tiefgekühlt gehalten werden müssen, um brauchbar zu bleiben.

Die Vertreter der IHK gingen dann die verschiedenen Branchen durch. Nutznießer scheinen die Paketdienste zu sein, die einen noch nie dagewesenen Boom erleben. Ganz anders beim öffentlichen Verkehr und insbesondere beim Reiseverkehr. Hier konnte die IHK auf ihre vom Staat zugewiesene Rolle bei der Beantragung von etwa von finanziellen Hilfen (Rettungsschirme) für die stark betroffenen Betriebe verweisen. Die komplette Reisebranche ist hier stark betroffen, insbesondere die Busunternehmen, aber auch die Reisebüros. So hat die Nachricht, dass das in der Region gut bekannte Reisebüro Bühler insolvent ist, doch stark eingeschlagen. Möglicherweise werde man aber auch Bereiche wie die Beratung bei Insovenzen usw. ausbauen müssen.

Die Situation der ÖPNV-Unternehmer beleuchtete der Geschäftsführer der VGVS (Stadtverkehr Villingen-Schwenningen), Frank Wiest. Er berichtete, wie ab Mitte März der Schülerverkehr und damit die Einnahmen weggebrochen wären, wie Aufrufe der Politik, öffentliche Verkehrsmittel zu meiden, ein Übriges getan hätten. Die Einnahmen seien massiv eingebrochen, zumal aus Gründen des Fahrerschutzes der Vordereinstieg beim Fahrer nicht mehr zulässig war. Erst ab Juni wären entsprechende Schutzeinrichtungen lieferbar gewesen, so dass reguläre Fahrkartenverkäufe wieder aufgenommen werden konnte. Die Einbrüche bei den Einnahmen lagen teilweise pro Pandemiemonat bei 70 % im Vergleich zum Vorjahresmonat. Die Unternehmen seien dem Land außerordentlich dankbar, dass es mit den Rettungsschirmen die Existenz der Unternehmen gesichert hätte. Zeitlich abgestuft hätte es eine kurz- und längerfristige Lösung gegeben, wobei man aus beihilferechtlichen Gründen (EU-Vorschriften) nunmehr einen gemeinwirtschaftlichen Zuschuss beantragen müsse und für die Dauer der Pandemie dadurch seine Eigenwirtschaftlichkeit verliere, d.h. durch europaweite Ausschreibungen bedroht sei. Beim Rettungsschirm würden die Einnahmen auf 90% der Vorjahreseinnahmen aufgefüllt, natürlich Einsparungen auf der Kostenseite zuvor berücksichtigt.

Besonders hart getroffen hat es Reisebusunternehmen in der Region. Hier betragen die Einnahmeausfälle bis zu 98,5 % und es gibt nach wie vor keine Vereine, Firmen oder Schulen, die für die Zeit nach der Pandemie Busreisen buchen wollen. Die Situation für die Busunternehmen ist daher auch mittelfristig alles andere als rosig. Man erschrecke fast schon, wenn mal das Telefon klingele, meinte ein Busunternehmer. Durchgeschlagen hat die Pandemie auch auf die Bushersteller, die ihre Betriebe (Reisebussparte) bis auf Weiteres geschlossen haben. Aber auch beim ÖV wäre mit Kürzungen zu rechnen. Berichtet wurde, dass im Landkreis Tuttlingen ab September unter dem Vorwand der Pandemie-bedingten Rückgänge das Fahrplanangebot um 2 Mio. € gekürzt worden wäre. Ähnlich auch beim Stadtverkehr Villingen-Schwenningen, wo die Politik auf das frühere Niveau aus Kostengründen zurückgerudert ist. Beim Stadtverkehr Rottweil waren in der Hochphase der Pandemie im Frühjahr von 20 Bussen nur 4 im Einsatz, um Kosten zu sparen. Es sei auch nicht damit zu rechnen, dass die Aufgabenträger wieder wie zuvor die Angebote hochfahren würden.

In einem weiteren Punkt ging es um die Absicht der Landkreise, nach Möglichkeit einen gemeinsamen Verkehrsverbund in der Region zu schaffen. Es wurde darüber informiert, dass das beabsichtigte Tarifmodell anstatt 27 Zonen in den 3 Landkreisen nur noch 8 Zonen (3 in VS, 3 in RW und 2 in TUT) vorsehen würde. Für ein und zwei Zonen, die auch aus unterschiedlichen Landkreisen stammen könnten, soll wie bisher die günstigste Preisstufe A bezahlt werden. Für Fahrgäste von Rottweil nach Villingen beispielsweise würde dies bedeuten, dass die Tarife doch erheblich günstiger werden könnten. Insgesamt wurde berichtet, dass mit einem Abmangel von etwa 3 bis 4 Mio. € aufgrund abgesenkter Tarife zu rechnen wäre. Daran wird sich das Land hälftig beteiligen, seine Förderung allerdings pro Jahr um 10% abschmelzen. Allerdings wären dies Kostenangaben aus der Vor-Corona-Zeit. Zwischenzeitlich wären die Umsätze deutlich zurückgegangen und man rechne auch nach der Pandemie nicht damit, das Niveau vor März 2020 so schnell wieder zu erreichen, da Home-office doch in erheblichem Umfang von Pendlern praktiziert würde.

Sehr interessant war auch das DaziT-Projekt (Dazi ist der rhätoromanische Begriff für Zoll) der Schweiz. Es geht hier darum, dass der Grenzverkehr in/aus der Schweiz in wenigen Jahren komplett digitalisiert sein wird. Staus an den Grenzen werden dann der Vergangenheit angehören. Gleichzeitig spart die Zollverwaltung erhebliche Personalkosten ein. Der Zoll wird quasi ins Hinterland rückverlagert oder ganz entfallen, weil Waren zolltechnisch digitalisiert werden, sofern die Schweizer Nachbarländer Deutschland, Österreich, Italien und Frankreich sich dem DaziT-Projekt rechtzeitig anschließen. Die Digitalisierung beim Deutschen Zoll wird allerdings vom Hauptzollamt Hamburg betreut, was gewisse Skepsis an einer Adaption schweizerischer Lösungen aufkommen ließ. Man vermisse, dass sich die EU an dem schweizerischen Modell noch nicht angeschlossen habe.

Weitere schweizerische Schützenhilfe war spürbar, als der Geschäftsführer der Camion Transport AG aus Wil, Herr Josef Jäger, der über Video zugeschaltet war, über die Wasserstofftechnologie in der Transportwirtschaft berichtete. Seine Firma hat derzeit 10 Hyundai-LKW (Daimler, Scania und andere konnten noch nicht liefern) eingesetzt, die mit Wasserstoff betankt werden. Er betreibt insgesamt Speditionsverkehr an 14 Standorten in der Schweiz, wobei die Standorte durch die Schiene gut miteinander vernetzt sind. Schwerpunktmäßig ist er also in der Feinverteilung zugange. Seine LKW fahren im Schnitt pro Tag etwa 380 Kilometer. Das Betanken mit Wasserstoff dauert nicht länger als mit Diesel. Die Reichweite eines betankten LKW gab er mit ca. 400 km an. Der Druck beim Tanken beträgt 350 bar. Nach seinen Angaben dürfen LKW mit Wasserstofftanks um soviel länger sein, wie die Tanks an zusätzlicher Länge erfordern. Die Nutzlast seiner Wasserstoff-LKW liegt bei 5,8 t. Interessant für die Spedition ist, dass sie von Hyundai, der die Fahrzeuge und den Treibstoff stellt, die Reifen und die Wartung besorgt, alles zu einem Komplettpreis von ca. 70 Ct/km erhält. Das sei etwa 5 – 10 % höher als die vergleichbaren Kosten eines dieselbetriebenen LKW bei einer Jahresfahrleistung von etwa 80.000 km und entspräche somit etwa in der Kalkulation der Größenordnung eines Fahrerlohns.

Es würde sich aber dennoch rechnen, weil die Schweiz bei CO2-freiem LKW-Verkehr auf die Schwerverkehrsabgabe verzichten würde. Nachteilig sei, dass bei der Erzeugung von Wasserstoff regenerativ erzeugte Energie verbraucht würde, ebenso beim Transport des Wasserstoffs zu einer Tankstelle und dass bei der Rückwandlung des Wasserstoffs in Antriebsenergie wieder große Verluste entstünden. Den Wirkungsgrad insgesamt schätzte er auf ca. 25 % ein, deutlich weniger als dies bei Batteriebetriebenen Hybriden sei. Seine Fahrer würden jedoch sehr gerne den Hyundai fahren, der angenehm ruhig wäre. Interessant auch noch eine Angabe zu den Kosten einer Wasserstoff-Tankstelle. Hier müsse man für eine einfache Ausführung mit Kosten von etwa 1,2 Mio. € Investition rechnen. Generell ist die schweizer Firma innovativ. Sie durfte auch einen von zehn eActros von Daimler testen.

Anschließend ging es noch um das von der IHK ins Leben gerufene Wirtschaftsbündnis Stuttgart – Zürich, also um die Gäubahn und den Deutschlandtakt. Die Gäubahn wird auch in den kommenden Jahren ein Dauerthema bleiben, bei welchem die IHK ständig am Ball bleiben wird. Ein weiteres Thema war der Lückenschluss B 523 zwischen Villingen-Herdenen und Mönchweiler, die Studie der IHK zum Kombinierten Verkehr in Trossingen-Mittelhardt und überhaupt das Arbeitsprogramm des Verkehrsausschusses im kommenden Jahr.

Wirklich sehr vielseitig, mit was sich der Verkehrsausschuss der IHK in der Region befasst.

Viele Grüße vom Vielfahrer
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