Vorbild Schweiz? Die Hintergründe der Erfolgsgeschichte der Schweizer Eisenbahn

Sonstiges, worüber man sich das "Maul" zerreisen kann.
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Vielfahrer
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Vorbild Schweiz? Die Hintergründe der Erfolgsgeschichte der Schweizer Eisenbahn

Beitrag von Vielfahrer »

Hallo,

am Montag, den 20. Mai 2019 findet um 19:30 Uhr in der Festhalle des Alten Gymnasiums in Rottweil ein von der VHS Rottweil organisierter Vortrag von Dr. Peter Vollmer aus Bern statt. Er war Direktor des Verbands öffentlicher Verkehr in der Schweiz, der Dachorganisation der Schweizer Unternehmen des öffentlichen Verkehr und während diesen Jahren auch Direktor von Seilbahnen Schweiz. Daneben war er Mitglied des Schweizerischen Nationalrats und dort u.a. Vorsitzender der Verkehrskommission.

Die Schweiz genießt beim öffentlichen Verkehr im weltweiten Vergleich (neben Japan) einen ausgezeichneten Ruf aufgrund des Spitzenplatzes bei den beförderten Personen, beim Angebot, bei der Pünktlichkeit wie überhaupt bei der Qualität des gesamten Systems des öffentlichen Verkehrs. Mit der Präsentation von Fakten und Hintergründen soll das "Geheimnis" der Erfolgsgeschichte gelüftet werden. Auch soll die Frage erläutert werden, was in Deutschland entsprechend verbessert werden kann.

Der Eintritt in die Vortagsveranstaltung kostet 6.- €. Eine vorherige Anmeldung ist nicht erforderlich.

Viele Grüße vom Vielfahrer
Vielfahrer
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Re: Vorbild Schweiz? Die Hintergründe der Erfolgsgeschichte der Schweizer Eisenbahn

Beitrag von Vielfahrer »

Hallo,

leider nur vor einer überschaubaren Anzahl von Zuhörern hielt der Referent Dr. Peter Vollmer einen recht anschaulichen ca. 90-minütigen Vortrag und erläuterte, was in der Schweiz grundsätzlich anders läuft. Es ist nicht nur die dort nicht vorhandene Automobilindustrie oder das viele Geld, das die Schweizer Stimmbürger in Abstimmungen den SBB und den anderen öffentlichen Verkehren gewähren. Immerhin etwa pro Einwohner 6 mal mehr als dies in Deutschland der Fall ist. Damit kann man natürlich auch mehr machen. Interessant war, dass er die Schweiz nicht als homogenes Gebilde darstellte sondern als ein Konglomerat verschiedener Gruppen. Aber eines würde alle einen: der Klang eines Postautohorns (den er auf seinem Notebook dann tatsächlich auch erklingen ließ). Wenn man in der Schweiz Kindern oder Enkelkindern etwas Schönes schenken würde, dann wäre das sicherlich ein Postauto, nicht irgendein Plastikbagger, Feuerwehrauto oder Ferrari-Modell. Das Postauto würde alle Gruppen, ob französischer Sprache, italienischer Sprache oder aus dem deutschsprachigen Raum, einen. Es wäre sozusagen identitätsstiftend.
Als früherer Chef des Verbands öffentlicher Verkehre der Schweiz legte er auch einen großen Schwerpunkt auf die schweizerischen Tarife. Sie würden von den SBB über die Privatbahnen, Busse, Schiffe bis zu den Bergbahnen gelten und letztere würden wie der ÖV vielfach bis 24 Uhr ihren Dienst tun. Er können gut von Bern um 22 Uhr mit dem Schnellzug nach Interlaken fahren, dann mit der Schmalspurbahn nach Lauterbrunnen, mit dem Postbus weiter zur Talstation der Seilbahn nach Mürren, seinem vollständig autofreien Wohnort und dort würde er kurz vor Mitternacht auch sicher eintreffen. Die Verlässlichkeit des öffentlichen Verkehrs konnte er völlig zurecht anpreisen. Und wichtig sei auch, dass dies alles mit nur 1 Fahrschein erledigt werden könnte. Gleich ob er von Bern bis Spiez den IC oder den Regionalverkehr nutzt, alle Fahrscheine gelten überall. Das sei ein Kern des Erfolgs. Der Erfolg sei groß. 28 % aller Schweizer (gemessen an der Gesamtbevölkerung, die auch Kleinkinder, Senioren oder Insassen von Anstalten umfasst) hätten ein Halbtaxabo. Dies hätte früher 365 SFr gekostet. Im Zusammenhang mit dem Waldsterben, welches die Schutzfunktion der Wälder für viele Siedlungen im Tal bedrohte, hätte man politisch entschieden, das Halbtaxabo auf 100 SFr zu vergünstigen, wodurch es zu einem sprunghaften Anstieg kam. Und das Generalabo hätten mittlerweile 15 % der Bevölkerung, immerhin 430.000 Generalabos wären im Umlauf. Gemessen an der Verbreitung der BC 100 in Deutschland ist das etwa einhundert mal häufiger der Fall pro Einwohner. Viele Leute würden ihren Eltern oder Großeltern ein Generalabo schenken, damit diese auch im Alter mobil wären. Interessant waren auch seine Ausführungen, dass die Zahl der Generalabos nicht gleichmäßig angestiegen sei sondern es hätte zu bestimmten Anlässen deutliche, also sprunghafte Zunahmen gegeben. Etwa dann, als Partnerkarten zum halben Preis eingeführt wurden oder Jugendliche für 600 SFR dann ein Generalabo erhalten konnten, wenn mindestens ein Elternteil bereits ein Abo besitzt. Auf manchen Strecken würden die IC-Züge bis zur Hälfte der Sitzplätze die 1. Klasse aufweisen.
Das Schweizerische Generalabo wird zunehmend durch den SWISS-PASS abgelöst. Dieser umfasst neben dem bisherigen Generalabo auch beispielsweise Skilifte. Er könne zuhause auf sein Swiss-Pass beispielsweise ein Skigebiet dazu buchen und dann problemlos durch sämtliche Zugangskontrollen bei den Liftanlagen passieren. Es sei einfach notwendig, Zugangshemmnisse beim öffentlichen Verkehr abzubauen und nicht welche aufzubauen. Er kritisierte auslastungsorientierte Preisstrukturen. Der Kunde müsse im Mittelpunkt stehen.
Einen ganz großen Sprung hätte der öffentliche Verkehr durch die "Erfindung" des integralen Takts gemacht. Es sein inzwischen jeder Ort mit jedem anderen in der Schweiz mit stimmigen Transportketten verbunden. In etwa 5 Jahren wäre das System vollends optimiert. Es gibt noch einige wenige Strecken, bei denen die "Kantenzeit" noch nicht optimal liegt, so dass dort mittels Investitionen nachgeholfen werden muss, um die Reisezeiten passend zu machen.
Auf den Hauptachsen, etwa zwischen Zürich und Bern, so der ÖV inzwischen 90% Marktanteil hätte oder zwischen Lausanne und Genf würde man jetzt zum 15-Minuten-Takt übergehen. Die Züge seien so voll, die Nachfrage auch trotz Doppelstock-IC-Zügen so groß, dass man diesen Schritt jetzt gehen müsse. Aber auch auf vielen Regionalbuslinien gäbe es inzwischen dichte Takte, z.B. alle 15 Minuten. Alles wäre benutzerfreundlich und mit klaren Tarifstrukturen versehen.
Da es logisch sei, dass im Umfeld der Agglomerationen Zürich, Bern, Basel, Lausanne, Genf oder auch St. Gallen viel für den ÖV getan werden müsse, bestünde die Gefahr, dass die Fläche hinten hinab falle. Um dies zu verhindern, hätte man es politisch so gemacht, dass bei wichtigen Entscheidungen auch das sog. "Stände-Mehr" erreicht werden müsse, also bei 26 Kantonen müssten 14 dafür sein. Deswegen ginge nichts ohne die ländlichen Kantone. Es käme zu ausgewogenen Lösungen, die zudem nicht auf die nächste Wahl schielen würden, sondern nachhaltig seien.
Der Verband öffentlicher Verkehrsbetriebe verteilt die Tarifeinnahmen auf die Transportunternehmungen. Etwa 2/3 gehen an die SBB, der Rest an die anderen Bahnen, die Busse, Schiffe und Seilbahnen. Dabei hätte sich gezeigt, dass in Phasen des Wachstums es keine Verteilungskämpfe geben würde, weil jeder mehr erhalten könne. In Zeiten rückläufiger Einnahmen hingegen wären die Verhandlungen hart und schwierig.

Viele Grüße vom Vielfahrer
Karl Müller
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Re: Vorbild Schweiz? Die Hintergründe der Erfolgsgeschichte der Schweizer Eisenbahn

Beitrag von Karl Müller »

Deine Zusammenfassung sagt es bereits:

Klare, einfache Tarifstruktur, verlässlicher Nahverkehr bis in den hintersten Winkel ( Postbus) und alles gepaart mit politischer Unterstützung.

Frage an alle: Was von diesen Faktoren ist in BaWü bzw Deutschland vorhanden?

Das wäre gut für eine Schulklasse - Schnittmengen bilden!?

Ist überhaupt eine Schnittmenge vorhanden? -

Politische Unterstützung?

Vertlässlicher Nahverkehr?

Einfache Tarifstruktur?

MFG Oli
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