Neuer Chef für die französische Eisenbahn

Sonstiges, worüber man sich das "Maul" zerreisen kann.
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Vielfahrer
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Neuer Chef für die französische Eisenbahn

Beitrag von Vielfahrer »

Hallo,

die Neue Zürcher Zeitung berichtet in einem Artikel von Tanja Kuchenbecker aus Paris über eine wichtige Personalentscheidung in Frankreich:

Jean-Pierre Farandou muss die Modernisierung stemmen

Die Entscheidung fiel ganz oben. Präsident Emmanuel Macron hat den neuen Chef für die Staatsbahn SNCF ausgesucht. Jean-Pierre Farandou, Chef der SNCF-Filiale Keolis, soll ab 1. Januar 2020 den Posten von Guillaume Pepy übernehmen. Der neue Chef ist Ingenieur, ein echter Eisenbahner, schon 62 Jahre alt und hat seine ganze Karriere bei der Bahn gemacht. Auf ihm lasten hohe Erwartungen. Er ist ein historischer Moment: Farandou soll die „neue SNCF 2020“ organisieren. Es ist das Ende des Monopols und der Anfang des Wettbewerbs auf der Schiene im regionalen und überregionalen Verkehr.

Die Bahn mit 270.000 Mitarbeitern soll ab 2020 vollkommen reformiert werden, sie orientiert sich dabei an der Deutschen Bahn. Der Zug- und Netzbetreiber wird in eine staatliche Kapitalgesellschaft umgewandelt Das Eisenbahngesetz wurde unter großen Protesten im vergangenen Jahr verabschiedet, weil die Bahn keine Eisenbahner mehr mit privilegiertem Beamtenstatus einstellen soll und deren Rentenpläne nicht mehr so komfortabel sind wie bisher. Auf sozialer Ebene bleibt die Reform weiterhin schwierig. Für Farandou ist es außerdem nicht leicht, den sehr präsenten Pepy zu ersetzen, der zwölf Jahre lang die SNCF leitete. Farandous wichtigste Aufgabe neben der Reform: Er muss dafür sorgen, dass die Züge pünktlich sind, und die Kosten der hochverschuldeten SNCF senken. Kein leichtes Unterfangen.

Doch Farandou kennt das Unternehmen bestens; der aus Bordeaux stammende Franzose hat 38 Jahre lang im Bahnbereich verbracht. Zu Anfang seiner Karriere war er Bahnchef, und seit 2012 ist der Chef des frankokanadischen Verkehrsunternehmens Keolis, da zu 70% der SNCF gehört und in Frankreich sowie international aktiv ist. Im letzten Jahr erreichte er dort eine Umsatzsteigerung von 10 %. Seine Auslandserfahrung dürfte ihm helfen, die SNCF auf die Konkurrenz vorzubereiten. Farandou war auch verantwortlich für so wichtige Projekte wie die Lancierung des TGV von Paris nach Lille und leitete Thalys International.

Die Spannung war groß, monatelang dauerte die Suche. Außerhalb der Bahn wurde kein geeigneter Kandidat gefunden. Der Wunsch des derzeitigen Chefs, dass es jemand von innerhalb der SNCF wird, wurde erhört. Pepy unterstützte Farandou und betonte, es sei eine „Anerkennung des Unternehmens, dass es Chefs wachsen lässt, uns ein wichtiges Zeichen für die Eisenbahner“. Im Gespräch war auch Patrik Jeantet, der derzeitige Chef des Streckennetzes SNCF Réseau. Der Aufsichtsrat der SNCF muss der Ernennung noch zustimmen, außerdem haben Senat und Nationalversammlung ein Vetorecht, was aber noch nie genutzt wurde.

Für Farandou sprach, dass er bei den Eisenbahnern sehr beliebt ist. Er könne gut zuhören, heißt es. Farandou ist ein Jahr älter als Pepy, also eher kein Mann der Zukunft, kein Kandidat für eine laute Revolution bei der SNCF. Ihm wird aber zugetraut, dass er den Wandel behutsam und ohne viel Proteste durchsetzt. Deshalb erschien er für den Elyséepalast als beste Wahl. Dieser lobte Farandous Erfahrung im Bahnbereich. Offenbar wollte Macron Ruhe bei der SNCF schaffen, indem er einen Chef wählte, dem die Belegschaft vertraut. Farandou diskutiert schon seit Juni als Präsident der Union des transports publics (UTP), der Arbeitgeber-Organisation des öffentlichen Verkehrswesens, mit den Gewerkschaften über die Eisenbahnreform. Er hat auch keine Berührungsängste, war kürzlich auf der Party des kommunistischen Magazins „l’Humanité“ und diskutierte mit linken französischen Gewerkschaftlern über die Eisenbahn. Er träumte davon, seine Karriere ganz oben zu beenden, nun wurde er in die Position gepfiffen.

Viele Grüße vom Vielfahrer
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