Bürgerinitiative gegen die Innenstadtstrecke der Regionalstadtbahn NeckarAlb gegründet

Sonstiges, worüber man sich das "Maul" zerreisen kann.
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Vielfahrer
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Bürgerinitiative gegen die Innenstadtstrecke der Regionalstadtbahn NeckarAlb gegründet

Beitrag von Vielfahrer »

Hallo,

über die Regionalstadtbahn Neckar-Alb wurde auch in diesem Forum in den vergangenen Jahren viel berichtet. Die ersten beiden Ausbaustrecken (Ammertalbahn und Ermstalbahn) sind im Bau und die Beteiligung an einem Konsortium, welches neue Tramtrains für zahlreiche Städte und Regionen bauen wird, beschlossen. Strittig ist nach wie vor jedoch die Verlängerung der regionalen Bahnlinien über eine Innenstadtstrecke zu den Kliniken und der Universität auf der Morgenstelle bis hin zu den Forschungseinrichtungen des Cyber-Valley und den Wohngebieten auf Waldhäuser Ost. Die Innenstadtstrecke zwischen dem Tübinger Hauptbahnhof und den auf dem Berg liegenden Zielen mit zehntausenden Arbeitsplätzen und Bewohnern ist jedoch - analog zum Karlsruher Modell - der Kern der Konzeption der Regionalstadtbahn, die umsteigefreie Verbindungen von den Wohngebieten in der Region zu den Arbeitsplätzen sichern soll.

Über die Verlängerung der Bahnlinien aus Richtung Reutlingen, Mössingen, Rottenburg und Herrenberg durch die Tübinger Innenstadt zu diesen Zielen soll voraussichtlich zeitgleich mit der nächsten Landtagswahl am 14.03.2021 mittels eines Bürgerentscheids abgestimmt werden.

Um diese Abstimmung in ihrem Sinne zu gewinnen, hat sich jetzt eine Bürgerinitiative „Nein zur Stadtbahn“ in Tübingen gegründet, wie das Schwäbische Tagblatt berichtet. Sie will lieber das Bussystem weiterentwickeln. Nach den Worten ihres Sprechers sei die Stadtbahn überflüssig, weil nicht so viele Pendler vom Auto auf sie umsteigen würden. Dafür seien die Kosten zu hoch. Sie sei unökologisch, weil die Gesamt-Klimabilanz schlechter sei als bei Bussen, erst recht bei E-Bussen. Und es gebe bessere Alternativen: Ein ausgebautes und durch Direktlinien (aus der Region?) zu den Kliniken ergänztes Bussystem sei „flexibel und schnell“. Es koste nur einen Bruchteil und die Stadt werde nicht über Jahre zur Baustelle. Enttäuscht zeigte sich der Sprecher der BI von Reaktionen einiger Stadtbahnbefürworter auf die Pläne zur BI-Gründung. So habe Oberbürgermeister Boris Palmer die BI als „autohörig“ abgestempelt. Dabei seien die Teilnehmer für den Öffentlichen Personennahverkehr und das Rad. Man wisse, dass sehr viele Tübinger gegen die Innenstadtstrecke sind, erklärte der Vorsitzende der in der BI stark vertretenen Gemeinderatsfraktion Tübinger Liste und skizzierte die Stadtbahngeschichte. Die Idee stamme aus den 1990er-Jahren und er frage sich, „warum wird dann im Jahr 2020 für das Jahr 2030 daran festgehalten?“ die Mobilität entwickle sich rasant gerade weiter. Wer gegen die Stadtbahn sei, „dürfe nicht erst protestieren, „wenn der erste Bagger für Schienen die Straße aufreißt“. Beim Großprojekt Stuttgart 21 sei der Aufschrei zu spät gekommen.

Kern der Alternative zur Stadtbahn sei ein Bussystem, zumindest als Übergangstechnik, bis neue Mobilitätsformen soweit sind. In einer Runde mit Fragen und Meinungen spielten die Kosten eine Rolle. Die Betriebskosten seien noch gar nicht beziffert, ungeklärt sei, wer das Dauerminus jedes Öffentlichen Nahverkehrs trage. Vertreten bei der BI ist auch die Linke. Für Gerlinde Strasdeit, Fraktionsvorsitzende der Linken im Gemeinderat, sind die Kosten zu hoch. Ergänzend zu den Bussen sieht sie in einer Seilbahn eine Alternative.

Die BI bildete vier Arbeitsgruppen, die sich ab 23. September 14-tägig treffen. Zu Gefahren der Stadtbahn, zu Alternativen, zu Zahlen, Daten, Fakten und überhaupt zu Aktionen. Am Ende des Abends stand der frühere Olympiasieger Dieter Baumann auf und appelierte an alle, weitere Menschen anzusprechen. Denn: „Was wir hier machen, ist politische Basisarbeit“ Dafür brauche man Leute. Beim Rausgehen, so berichtete das Schwäbische Tagblatt, spendeten viele und nahmen Unterschriftenlisten mit.

In einem einen Tag zuvor erschienenen Leserbrief zur angesetzten Gründung der Bürgerinitiative setzt sich der auch beim Ringzug engagierte Tübinger Martin Hilger mit der Bürgerinitiative auseinander:

Aber hallo! Der Artikel offenbar offenbart schonungslos die Inkompetenz dieser kommenden BI. Laut Herrn von Brunn führt die Regional-Stadtbahn dazu, dass es keine durchgehende Verbindung von Kilchberg zu den Kliniken gäbe (Anmerkung meinerseits: heute verkehren alle 30 Minuten Busse). Aber hallo! die Linie von Horb nach Waldhäuser Ost wird auch in Kilchberg halten. Ein guter Ersatz ist für Herrn Brunn die Linie vom Westbahnhof zu den Kliniken. Und was nützt das den Menschen aus Rottenburg, Mössingen und Reutlingen? Die steigen dann halt zweimal um, am Hauptbahnhof und am Westbahnhof. Aber die Umsteigefreiheit werde ja total überbewertet. Merkwürdig nur, dass das Gegenteil längst empirisch bewiesen ist. Die Durchbindung von Eisenbahnstrecken in die Karlsruher Innenstadt hat vielfach die Zahl der Fahrgäste auf das Doppelte und Dreifache erhöht.
Von Brunn bezeichnet Straßenbahnen als "Stahldino". Komisch, dass seit 1985 in Europa (ohne Russland) 66 neue Straßenbahnsysteme entstanden sind, aber seit 1987 nur in Rumänien und in der Ukraine Systeme stillgelegt wurden. 1985 gab es in ganz Frankreich 3 Systeme mit 30 km Länge. Heute sind es 24 Systeme mit 800 km Länge, und der Ausbau geht weiter. Die Dinosaurier sind nicht die Tramwagen, sondern die Herren von der Tübinger Liste. Und sie wollen, dass es so bleibt. Und natürlich ist da, wo es darum geht, rückwärts zu denken, auch Frau Strasdeit von den Linken mit dabei, wie eigentlich immer. Ich bin sicher, dass es genügend Menschen gibt, die wahrgenommen haben, dass es seit den 70er Jahren heute auch noch andere Werte gibt als "freie Autofahrt für freie Bürger".

In einem anderen Leserbrief werden die Zahlen zur Umweltbilanz Busse/Stadtbahn widerlegt. Während die Bürgerinitiative gegen die Stadtbahn mit den alten Zahlen zum CO2-Ausstoß (Bahn 76,9 g/Pkm, Bus 75,6 g/Pkm) argumentiert, rechnet das Umweltbundesamt inzwischen mit folgenden Zahlen: Stadtbahn 58 g/Pkm, Linienbus 80g/Pkm. Dadurch ändert sich die Bewertung des ökologischen Nutzens, und die Stadtbahn steht besser da. Zentral ist auch, dass mit der Stadtbahn Menschen vom Auto in die Bahn geholt werden. Man solle sich bei der Bewertung der Innenstadtstrecke also nicht von Dinosaurier-Zahlen blenden lassen.

Viele Grüße vom Vielfahrer
Benutzer 14 gelöscht

Re: Bürgerinitiative gegen die Innenstadtstrecke der Regionalstadtbahn NeckarAlb gegründet

Beitrag von Benutzer 14 gelöscht »

Hallo,

danke für die Info, auch wenn es eher traurige bzw. anstrengende Nachrichten sind. Die "Argumente" erinnern mich sehr an die aktuelle Diskussion hier über die Erweiterung der Mainzer Straßenbahn nach Wiesbaden unter dem Namen "Citybahn": https://www.citybahn-verbindet.de/

Gruß
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