Umsteiger für das Klima

Sonstiges, worüber man sich das "Maul" zerreisen kann.
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Umsteiger für das Klima

Beitrag von Vielfahrer »

Hallo,

der Redakteur Gernot Steger vom Schwäbischen Tagblatt Tübingen hat eine Sitzung des Klimaausschusses der Stadt Tübingen besucht und berichtet heute ausführlich über die dortigen Diskussionen.

Für Oberbürgermeister Boris Palmer, den städtischen Klimabeauftragten Bernd Schott und die meisten Fraktionen ist die Sache klar: Die Regionalstadtbahnstrecke und besonders die Innenstadtstrecke in Tübingen ist Klimaschutz. Das erklärten sie am Montagabend im Klimaausschuss des Gemeinderats. Kein anderes Verkehrsmittel stoße insgesamt weniger CO2 aus. Auch schaffe kein anderes, so viel Fahrten vom Auto in den Öffentlichen Nahverkehr zu verlagern, verrieten Palmer und Schott Ergebnisse der noch unveröffentlichten standardisierten Bewertung der Regionalstadtbahn durch den Zweckverband. Demnach gelingt es dem Schienenprojekt, 37.700 zusätzliche Fahrgäste zu gewinnen, davon 31.000 Umsteiger vom Auto. Ein Viertel würde wegen der Tübinger Innenstadtstrecke wechseln. Das entspreche 23 Millionen Personenkilometern. Die Alternativen Schnellbus und Seilbahn kämen auf 6 bis 9 Millionen Personenkilometer.

Ausgangspunkt waren Berechnungen der Stabsstelle Umwelt- und Klimaschutz, die anhand von Werten und Rechenmodellen aus vorliegenden Studien die Klimabilanz der Stadtbahn ermittelte und mit anderen Verkehrsmitteln verglich. Dabei ging es nicht allein um die Nutzung, sondern um die CO2-Gesamtbilanz mit Vorketten; der sogenannten Bereitstellung der Energie, der Fahrzeuge und der Infrastruktur. Es flossen also auch ein: Die Erzeugung der Energie, die Herstellung der Fahrzeuge und die der Straßen oder Schienen. Die Straßenbahn schnitt mit 78 Gramm CO2 je Personenkilometer am besten ab, gefolgt vom Bus mit 88, dem E-Auto mit 152 und dem PKW gesamt mit 194.
Wie kommen die Werte zustande? Jedes Verkehrsmittel hat mindestens einen schweren Stein im Klimarucksack. Bei der Stadtbahn ist es die Energiebereitstellung mit 60 und der Gleisbau mit 14 Gramm CO2 je Personenkilometer. Die Nutzung der elektrisch betriebenen Bahn ist mit 0 veranschlagt. Beim Bus fällt diese mit 69 Gramm CO2 je Personenkilometer ins Gewicht. Beim E-Auto ist es vor allem die Produktion der Batterien – meist in China mit Kohlestrom – mit 90 und die Fahrzeugherstellung mit 57 Gramm CO2 je Personenkilometer. Beim PKW schädigt vor allem das Fahren von Verbrennern die Umwelt (Nutzung 130 Gramm CO2 je Personenkilometer).
Nun lässt sich jede Berechnung anzweifeln. Das haben die Vertreter der Tübinger Liste auch getan. Orientiert hat sich Schott am Umweltbundesamt und dessen Rechenmodell TREMOD. Das sei von allen öffentlichen Einrichtungen in Deutschland anerkannt. Es gebe bei Hochrechnungen Schwankungen. Um für die Stadtbahngegner nicht anfechtbar zu sein, habe er bei verschiedenen Faktoren zuungunsten der Stadtbahn gerechnet. Als Beispiel nannte Schott die verwendete Betonsorte und den Stahl. Angenommen worden sei stets der höhere CO2-Wert. Als Ergebnis kam für den Bau der Innenstadtstrecke der Regionalstadtbahn ein Wert von 75.000 Tonnen CO2 heraus – inklusive Brückenbauten.

Den Klimakosten stünde aber der Nutzen gegenüber. Die Treibhausgas-Emissionen würden sich in 8 bis 20 Jahren – je nach Berechnung – amortisieren. Außerdem würden 9,5 bis 22,2 Millionen Kilowattstunden Energie durch die Verlagerung vom PKW-Verkehr auf die Schiene eingespart werden. An dieser Stelle greift die städtische Berechnung auf die Daten der Standardisierten Bewertung zurück. Diese geht von 25.000 Fahrgästen täglich auf der Innenstadtstrecke aus. Das wäre ein Zuwachs von 12.000 Fahrten im ÖPNV. Davon sind 9.200 von der Straße verlagert.

Palmer fasste die Präsentation so zusammen: „Das sind viele Zahlen, aber die Grundaussage ist einfach: Die Stadtbahn ist die größte Klimaschutzmaßnahe, die wir vorhaben“. Und der OB sagte, Schott habe vorsichtig gerechnet: „mit meinen Zahlen ist die Stadtbahn in fünf Jahren amortisiert“.

Ernst Gumrich (Tübinger Liste) widersprach. Er hält 19 Jahre für realistisch und stellte die Prognose der Stadtverwaltung in Frage, etwa zum Strom- und Verkehrsmix. Er verwies auf ein von der Grünen-Bundestagsfraktion in Auftrag gegebenes Gutachten der Universität Eindhoven und sagte zu Palmer: „Ihre Annahmen stimmen nicht“. Der Wechsel zu den E-Autos nehme gerade Fahrt auf. Die 75.000 Tonnen CO2 bei der Stadtbahn seien sehr viel. Wichtig sei beim Klimaschutz der Faktor Zeit. Mit Bau und Amortisation würde die Stadtbahn frühestens 2040 klimawirksam werden. „Das kann man unter Umweltgesichtspunkten nicht akzeptieren“. Die Innenstadtstrecke sei für die Regionalstadtbahn insgesamt nicht nötig, sondern ein „Wurmfortsatz“. Ein Angebot des OB, den Bürgerentscheid um ein Jahr zu verschieben, lehnte er ab.

Christoph Joachim (AL/Grüne) nannte die Berechnungen Schotts eine „neutrale Grundlage“. Die Stadtbahn habe von allen Verkehrsarten den größten Klimaeffekt. Martin Sökler (SPD) geht zwar auch von deutlich mehr E-Autos im Jahr 2040 aus als von Schott angenommen. Doch: „Selbst wenn 100 Prozent E-Autos fahren, brauchen wir die großen Stadtbahngefäße für große Fahrgastmengen auf den Hauptachsen“. Die Innenstadtstrecke ist kein Wurmfortsatz, sondern das Herzstück“. Rudi Hurlebaus (CDU) sagte: „Die Alternativen, die ich kenne, sind keine Alternativen“. Dietmar Schöning (FDP) erklärte, ohne Innenstadtstrecke sei die Regionalstadtbahn „ein Treppenwitz“. Dem widersprach Gerlinde Strasdeit (Linke): „Die Innenstadtstrecke ist für uns unter Umweltgesichtspunkten voll daneben“. Sara da Piedade Gosmes („Die Fraktion“) sprach sich für schnelles Handeln und eine Seilbahn aus.

Der Ausschussexperte Ulrich Rochard lobte Schotts Berechnungen und sagte: „Die positive Wirkung der Innenstadtstrecke ist belegt“. Paula Mayer (Fridays for future) fasste zusammen: „Die Stadtbahn ist Klimaschützerin“. Tom Besenfelder vom Jugendgemeinderat erklärte, dieser sei bisher weder dafür noch dagegen. „Aus meiner Sicht ist das Hauptproblem nicht das Umsteigen am Hauptbahnhof, sondern der Weg von der Wohnung zur Haltestelle

Das Computerprogramm TREMOD (Transport Emission Modell) wird vom Umweltbundsamt, den Bundesministerien, dem Verband der Deutschen Automobilindustrie sowie der Deutschen Bahn zur Berechnung der Luftschadstoff- und Klimagasemissionen des motorisierten Verkehrs in Deutschland genutzt. In TREMOD werden alle in Deutschland betriebenen Personenverkehrsarten (Zweiräder, Busse, Bahnen, Flugzeuge) und Güterverkehrsarten (LKW, leichte Nutzfahrzeuge, Bahnen, Schiffe) erfasst. Die Basisdaten reichen von Fahr- Verkehrsleistungen und Auslastungsgraden bis zu den spezifischen Energieverbräuchen und den Emissionsfaktoren.


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Re: Umsteiger für das Klima

Beitrag von Vielfahrer »

Hallo,

heute Abend ab 19 Uhr gibt es in der Hermann-Hepper-Turnhalle in der Tübinger Weststadt eine Information der Stadtverwaltung Tübingen und der Gutachter zum Thema Regionalstadtbahn Neckar Alb. Die Veranstaltung wird auch im Internet übertragen, d.h. Interessierte können sich einwählen. Infos dazu findet man auf der Homepage der Stadt Tübingen.

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Villinger
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Re: Umsteiger für das Klima

Beitrag von Villinger »

Danke für die Verlinkung. Schade, dass man da in Tübingen immer noch so ablehnend damit umgeht, nur weil etwas Raum für den MIV zurückgefahren wird. In Karlsruhe und überall wo das Tram-Train-Konzept funktioniert juckt das heute niemanden mehr, da läuft es besser denn je.

Schaue da nachher mal rein, nachdem ich gestern wieder überrascht wurde, dass man den Tübinger Hbf auf der Straße momentan nur aus Westen (Rottenburg) erreichen kann.

Scheinbar hat es im Bereich Neckar-Alb ähnlich wie hier in VS gewütet, sodass die Veranstaltung wegen Unwetter um zwei Wochen verschoben wurde.
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Re: Umsteiger für das Klima

Beitrag von Vielfahrer »

Hallo,

mit dem Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs bei gleichzeitiger Erhöhung der Gebühren für das Anwohnerparken (derzeit 8 Cent pro Tag) wird es vorerst wohl nichts. Eine Mehrheit des Tübinger Gemeinderats lehnte den Vorschlag der Stadtverwaltung ab, die Parkgebühren auf knapp 1 Euro pro Tag zu erhöhen.

Das Schwäbische Tagblatt Tübingen berichtet dazu:

Anwohnerparken vorerst nicht teurer

Der Antrag der Tübinger Verwaltung, die Gebühren deutlich zu erhöhen, findet keine Mehrheit im Ausschuss.

Die Anwohnerparkgebühren in Tübingen werden vorerst nicht wie von der Stadtverwaltung geplant erhöht. Der Klimaausschuss des Gemeinderats hatte am Donnerstag noch zahlreiche Fragen und Änderungsanträge. Ein Stimmungsbild zeigte keine Mehrheit für den Vorschlag von Oberbürgermeister Boris Palmer. Entschieden werden soll jetzt nach der Sommerpause, auch nach Ergebnis der Bürger-App-Umfrage zum Thema Mobilität. Die Stadtverwaltung will einen neuen Antrag erarbeiten.

Bisher kostete das Anwohnerparken 30,70 Euro im Jahr. Der Betrag gilt seit 1993 und war gesetzlich gedeckelt. Nun dürfen Kommunen selbst entscheiden. Die Tübinger Verwaltung wollte die Gebühr ab 2022 auf 360 Euro im Jahr verzwölffachen, für kleinere und mittlere Fahrzeuge 180 Euro im Jahr festsetzen und für E-Autos 120 Euro. Inhaber einer Kreisbonuscard sollten noch einmal 50 Prozent Nachlass erhalten.

Viele Fraktionen hielten die geplanten Gebühren für zu hoch. SPD, Tübinger Liste, CDU und FDP sind für 10 Euro im Monat. SPD, Tübinger Liste und CDU setzen vor allem auf eine Nahverkehrsabgabe. Allein AL/Grüne stützten den Verwaltungsvorschlag und gingen sogar noch weiter. 360 Euro im Jahr dürfe nur der Mittelwert einer nach Autotypen gestaffelten Gebühr sein – als Ziel im Jahr 2030.

Eine Ermäßigung für Kreisbonuscard-Inhaber fand Zuspruch, Linke, „Die Fraktion“ und FDP wollten die Gebühr allerdings nicht auf 120 Euro, sondern sogar auf 30 Euro im Jahr senken.

Der E-Auto-Bonus ist vom Tisch. Von ihm ließ Palmer selbst ab, weil es rechtliche Bedenken des Landes gebe. Einige Fraktionen halten die Parkgebühren für das falsche Mittel, die Elektromobilität zu fördern.

Weil mit einer reduzierten Parkgebühr nicht genug Geld für die beschlossenen Verbesserungen im Busverkehr zusammenkomme, zeigte sich Palmer unzufrieden. Er kündigte an, dass ersatzweise die Parkraumbewirtschaftungszonen schneller als geplant ausgeweitet werden müssen und auch die Gebühren an den Parkuhren steigen sollten.


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Karl Müller
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Re: Umsteiger für das Klima

Beitrag von Karl Müller »

Hallo,
was soll ich sagen, ich habe es doch schon gesagt. Diesen politischen Gegenwind hält keiner Stand, da knicken alle ein. Weicheier.
Den privaten PKW darf man in Deutschland nicht anlangen, außer beim Spritpreis. Noch vor wenigen Monaten wurde heftig über eine von den Grünen geführte Spritpreisdebatte ( soll um 25 cent erhöhrt werden) diskutiert ( seit jahren immer wieder...wer erinnert sich noch an das "Schreckgespenst" - SPRITPREIS: 5 DM! - ???? )
Dazu sag ich nur eines - der Spritpreis ist unter der jetzigen Regierung bereits stark angestiegen und die Deutschen fahren fleißig weiter. Immer weiter, der PKW ist hier nicht antastbar. Never ever.
Gruß Oli
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KBS720
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Re: Umsteiger für das Klima

Beitrag von KBS720 »

Hallo,

zum Thema Privat Pkw, klar ist es auf dem Land alternativlos so lange ich mit dem Auto von Haus zu Haus (mit Weg vom Parken), nicht mal die Hälfte der Zeit brauche. Bespiel von mir zu Hause nach Neustadt(Schwarzw) zum meinem Kumpel brauche ich im Schnitt 40-45 min mit dem Auto. Würde ich den ÖPNV nutzen, müsste ich gut 20 min zum Bf laufen, dann 8 min nach Villingen fahren. Dort hätte ich gute 30 min Umstiegszeit auf die S-Bahn welche dann nach knapp 50 min in Neustadt ankommt, von da sind es noch gute 5min zu Fuß. Macht 1h 55 vs 45min. So und da der ÖPNV ja so gut läuft, kann ich 20:23 Uhr dort los laufen, um den letzten Zug noch zu erwischen *bekloppt*. Da braucht man nicht lange überlegen, was man da macht.

In der Stadt und in Ballungszentren bin ich da voll dabei, aber in der Provinz wie hier, never ever. Und da sollte man ansetzen, in den Ballungsräumen und nicht da wo 3-4 Autos rum eiern.

Grüße Andreas
*schaffner* Das Bahnkutscher Wiki last update Juni 2014
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Re: Umsteiger für das Klima

Beitrag von Vielfahrer »

Hallo,

wie ich gerade in unserer Zeitung lese, sind gestern Abend nunmehr Nägel mit Köpfen gemacht worden. Der Gemeinderat der Stadt Tübingen hat beschlossen, dass "Anwohnerparkausweise" anstatt bislang 30.- € im Jahr ab 2022 jetzt 120.- €/Jahr kosten werden. Der Beschluss dazu fiel einstimmig aus. Fahrer von PKW ab 1.800 Kilogramm (bei E-Antrieb ab 2.000 kg) müssen 180.- € bezahlen. Das entschieden AL/Grüne, SPD, Linke und "Fraktion" gegen die Tübinger Liste, CDU und FDP. Größere Mehrheiten waren für weitere Beschlüsse: Inhaber der Kreisbonuscard sollen nur die halbe Gebühr von 60.- € im Jahr zahlen. Die Zonen, in denen überhaupt Gebühren erhoben werden, werden deutlich ausgeweitet, zunächst innerhalb der Kernstadt. Auch an Parkuhren wird das Parken teurer.
Das Geld soll für Verbesserungen beim Busverkehr verwendet werden. Der Gemeinderat beschloss einstimmig mehrere Taktverdichtungen und mit klarer Mehrheit gegen zwei Stimmen aus der Tübinger Liste die Einführung eines 365-Euro-Jahrestickets. Eine klare Mehrheit fand sich auch für das Aussetzen der jährlichen Preiserhöhungen im Verkehrsverbund Naldo.

Viele Grüße vom Vielfahrer
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