Umsteiger für das Klima
Verfasst: Mi 23. Jun 2021, 16:54
Hallo,
der Redakteur Gernot Steger vom Schwäbischen Tagblatt Tübingen hat eine Sitzung des Klimaausschusses der Stadt Tübingen besucht und berichtet heute ausführlich über die dortigen Diskussionen.
Für Oberbürgermeister Boris Palmer, den städtischen Klimabeauftragten Bernd Schott und die meisten Fraktionen ist die Sache klar: Die Regionalstadtbahnstrecke und besonders die Innenstadtstrecke in Tübingen ist Klimaschutz. Das erklärten sie am Montagabend im Klimaausschuss des Gemeinderats. Kein anderes Verkehrsmittel stoße insgesamt weniger CO2 aus. Auch schaffe kein anderes, so viel Fahrten vom Auto in den Öffentlichen Nahverkehr zu verlagern, verrieten Palmer und Schott Ergebnisse der noch unveröffentlichten standardisierten Bewertung der Regionalstadtbahn durch den Zweckverband. Demnach gelingt es dem Schienenprojekt, 37.700 zusätzliche Fahrgäste zu gewinnen, davon 31.000 Umsteiger vom Auto. Ein Viertel würde wegen der Tübinger Innenstadtstrecke wechseln. Das entspreche 23 Millionen Personenkilometern. Die Alternativen Schnellbus und Seilbahn kämen auf 6 bis 9 Millionen Personenkilometer.
Ausgangspunkt waren Berechnungen der Stabsstelle Umwelt- und Klimaschutz, die anhand von Werten und Rechenmodellen aus vorliegenden Studien die Klimabilanz der Stadtbahn ermittelte und mit anderen Verkehrsmitteln verglich. Dabei ging es nicht allein um die Nutzung, sondern um die CO2-Gesamtbilanz mit Vorketten; der sogenannten Bereitstellung der Energie, der Fahrzeuge und der Infrastruktur. Es flossen also auch ein: Die Erzeugung der Energie, die Herstellung der Fahrzeuge und die der Straßen oder Schienen. Die Straßenbahn schnitt mit 78 Gramm CO2 je Personenkilometer am besten ab, gefolgt vom Bus mit 88, dem E-Auto mit 152 und dem PKW gesamt mit 194.
Wie kommen die Werte zustande? Jedes Verkehrsmittel hat mindestens einen schweren Stein im Klimarucksack. Bei der Stadtbahn ist es die Energiebereitstellung mit 60 und der Gleisbau mit 14 Gramm CO2 je Personenkilometer. Die Nutzung der elektrisch betriebenen Bahn ist mit 0 veranschlagt. Beim Bus fällt diese mit 69 Gramm CO2 je Personenkilometer ins Gewicht. Beim E-Auto ist es vor allem die Produktion der Batterien – meist in China mit Kohlestrom – mit 90 und die Fahrzeugherstellung mit 57 Gramm CO2 je Personenkilometer. Beim PKW schädigt vor allem das Fahren von Verbrennern die Umwelt (Nutzung 130 Gramm CO2 je Personenkilometer).
Nun lässt sich jede Berechnung anzweifeln. Das haben die Vertreter der Tübinger Liste auch getan. Orientiert hat sich Schott am Umweltbundesamt und dessen Rechenmodell TREMOD. Das sei von allen öffentlichen Einrichtungen in Deutschland anerkannt. Es gebe bei Hochrechnungen Schwankungen. Um für die Stadtbahngegner nicht anfechtbar zu sein, habe er bei verschiedenen Faktoren zuungunsten der Stadtbahn gerechnet. Als Beispiel nannte Schott die verwendete Betonsorte und den Stahl. Angenommen worden sei stets der höhere CO2-Wert. Als Ergebnis kam für den Bau der Innenstadtstrecke der Regionalstadtbahn ein Wert von 75.000 Tonnen CO2 heraus – inklusive Brückenbauten.
Den Klimakosten stünde aber der Nutzen gegenüber. Die Treibhausgas-Emissionen würden sich in 8 bis 20 Jahren – je nach Berechnung – amortisieren. Außerdem würden 9,5 bis 22,2 Millionen Kilowattstunden Energie durch die Verlagerung vom PKW-Verkehr auf die Schiene eingespart werden. An dieser Stelle greift die städtische Berechnung auf die Daten der Standardisierten Bewertung zurück. Diese geht von 25.000 Fahrgästen täglich auf der Innenstadtstrecke aus. Das wäre ein Zuwachs von 12.000 Fahrten im ÖPNV. Davon sind 9.200 von der Straße verlagert.
Palmer fasste die Präsentation so zusammen: „Das sind viele Zahlen, aber die Grundaussage ist einfach: Die Stadtbahn ist die größte Klimaschutzmaßnahe, die wir vorhaben“. Und der OB sagte, Schott habe vorsichtig gerechnet: „mit meinen Zahlen ist die Stadtbahn in fünf Jahren amortisiert“.
Ernst Gumrich (Tübinger Liste) widersprach. Er hält 19 Jahre für realistisch und stellte die Prognose der Stadtverwaltung in Frage, etwa zum Strom- und Verkehrsmix. Er verwies auf ein von der Grünen-Bundestagsfraktion in Auftrag gegebenes Gutachten der Universität Eindhoven und sagte zu Palmer: „Ihre Annahmen stimmen nicht“. Der Wechsel zu den E-Autos nehme gerade Fahrt auf. Die 75.000 Tonnen CO2 bei der Stadtbahn seien sehr viel. Wichtig sei beim Klimaschutz der Faktor Zeit. Mit Bau und Amortisation würde die Stadtbahn frühestens 2040 klimawirksam werden. „Das kann man unter Umweltgesichtspunkten nicht akzeptieren“. Die Innenstadtstrecke sei für die Regionalstadtbahn insgesamt nicht nötig, sondern ein „Wurmfortsatz“. Ein Angebot des OB, den Bürgerentscheid um ein Jahr zu verschieben, lehnte er ab.
Christoph Joachim (AL/Grüne) nannte die Berechnungen Schotts eine „neutrale Grundlage“. Die Stadtbahn habe von allen Verkehrsarten den größten Klimaeffekt. Martin Sökler (SPD) geht zwar auch von deutlich mehr E-Autos im Jahr 2040 aus als von Schott angenommen. Doch: „Selbst wenn 100 Prozent E-Autos fahren, brauchen wir die großen Stadtbahngefäße für große Fahrgastmengen auf den Hauptachsen“. Die Innenstadtstrecke ist kein Wurmfortsatz, sondern das Herzstück“. Rudi Hurlebaus (CDU) sagte: „Die Alternativen, die ich kenne, sind keine Alternativen“. Dietmar Schöning (FDP) erklärte, ohne Innenstadtstrecke sei die Regionalstadtbahn „ein Treppenwitz“. Dem widersprach Gerlinde Strasdeit (Linke): „Die Innenstadtstrecke ist für uns unter Umweltgesichtspunkten voll daneben“. Sara da Piedade Gosmes („Die Fraktion“) sprach sich für schnelles Handeln und eine Seilbahn aus.
Der Ausschussexperte Ulrich Rochard lobte Schotts Berechnungen und sagte: „Die positive Wirkung der Innenstadtstrecke ist belegt“. Paula Mayer (Fridays for future) fasste zusammen: „Die Stadtbahn ist Klimaschützerin“. Tom Besenfelder vom Jugendgemeinderat erklärte, dieser sei bisher weder dafür noch dagegen. „Aus meiner Sicht ist das Hauptproblem nicht das Umsteigen am Hauptbahnhof, sondern der Weg von der Wohnung zur Haltestelle
Das Computerprogramm TREMOD (Transport Emission Modell) wird vom Umweltbundsamt, den Bundesministerien, dem Verband der Deutschen Automobilindustrie sowie der Deutschen Bahn zur Berechnung der Luftschadstoff- und Klimagasemissionen des motorisierten Verkehrs in Deutschland genutzt. In TREMOD werden alle in Deutschland betriebenen Personenverkehrsarten (Zweiräder, Busse, Bahnen, Flugzeuge) und Güterverkehrsarten (LKW, leichte Nutzfahrzeuge, Bahnen, Schiffe) erfasst. Die Basisdaten reichen von Fahr- Verkehrsleistungen und Auslastungsgraden bis zu den spezifischen Energieverbräuchen und den Emissionsfaktoren.
Viele Grüße vom Vielfahrer
der Redakteur Gernot Steger vom Schwäbischen Tagblatt Tübingen hat eine Sitzung des Klimaausschusses der Stadt Tübingen besucht und berichtet heute ausführlich über die dortigen Diskussionen.
Für Oberbürgermeister Boris Palmer, den städtischen Klimabeauftragten Bernd Schott und die meisten Fraktionen ist die Sache klar: Die Regionalstadtbahnstrecke und besonders die Innenstadtstrecke in Tübingen ist Klimaschutz. Das erklärten sie am Montagabend im Klimaausschuss des Gemeinderats. Kein anderes Verkehrsmittel stoße insgesamt weniger CO2 aus. Auch schaffe kein anderes, so viel Fahrten vom Auto in den Öffentlichen Nahverkehr zu verlagern, verrieten Palmer und Schott Ergebnisse der noch unveröffentlichten standardisierten Bewertung der Regionalstadtbahn durch den Zweckverband. Demnach gelingt es dem Schienenprojekt, 37.700 zusätzliche Fahrgäste zu gewinnen, davon 31.000 Umsteiger vom Auto. Ein Viertel würde wegen der Tübinger Innenstadtstrecke wechseln. Das entspreche 23 Millionen Personenkilometern. Die Alternativen Schnellbus und Seilbahn kämen auf 6 bis 9 Millionen Personenkilometer.
Ausgangspunkt waren Berechnungen der Stabsstelle Umwelt- und Klimaschutz, die anhand von Werten und Rechenmodellen aus vorliegenden Studien die Klimabilanz der Stadtbahn ermittelte und mit anderen Verkehrsmitteln verglich. Dabei ging es nicht allein um die Nutzung, sondern um die CO2-Gesamtbilanz mit Vorketten; der sogenannten Bereitstellung der Energie, der Fahrzeuge und der Infrastruktur. Es flossen also auch ein: Die Erzeugung der Energie, die Herstellung der Fahrzeuge und die der Straßen oder Schienen. Die Straßenbahn schnitt mit 78 Gramm CO2 je Personenkilometer am besten ab, gefolgt vom Bus mit 88, dem E-Auto mit 152 und dem PKW gesamt mit 194.
Wie kommen die Werte zustande? Jedes Verkehrsmittel hat mindestens einen schweren Stein im Klimarucksack. Bei der Stadtbahn ist es die Energiebereitstellung mit 60 und der Gleisbau mit 14 Gramm CO2 je Personenkilometer. Die Nutzung der elektrisch betriebenen Bahn ist mit 0 veranschlagt. Beim Bus fällt diese mit 69 Gramm CO2 je Personenkilometer ins Gewicht. Beim E-Auto ist es vor allem die Produktion der Batterien – meist in China mit Kohlestrom – mit 90 und die Fahrzeugherstellung mit 57 Gramm CO2 je Personenkilometer. Beim PKW schädigt vor allem das Fahren von Verbrennern die Umwelt (Nutzung 130 Gramm CO2 je Personenkilometer).
Nun lässt sich jede Berechnung anzweifeln. Das haben die Vertreter der Tübinger Liste auch getan. Orientiert hat sich Schott am Umweltbundesamt und dessen Rechenmodell TREMOD. Das sei von allen öffentlichen Einrichtungen in Deutschland anerkannt. Es gebe bei Hochrechnungen Schwankungen. Um für die Stadtbahngegner nicht anfechtbar zu sein, habe er bei verschiedenen Faktoren zuungunsten der Stadtbahn gerechnet. Als Beispiel nannte Schott die verwendete Betonsorte und den Stahl. Angenommen worden sei stets der höhere CO2-Wert. Als Ergebnis kam für den Bau der Innenstadtstrecke der Regionalstadtbahn ein Wert von 75.000 Tonnen CO2 heraus – inklusive Brückenbauten.
Den Klimakosten stünde aber der Nutzen gegenüber. Die Treibhausgas-Emissionen würden sich in 8 bis 20 Jahren – je nach Berechnung – amortisieren. Außerdem würden 9,5 bis 22,2 Millionen Kilowattstunden Energie durch die Verlagerung vom PKW-Verkehr auf die Schiene eingespart werden. An dieser Stelle greift die städtische Berechnung auf die Daten der Standardisierten Bewertung zurück. Diese geht von 25.000 Fahrgästen täglich auf der Innenstadtstrecke aus. Das wäre ein Zuwachs von 12.000 Fahrten im ÖPNV. Davon sind 9.200 von der Straße verlagert.
Palmer fasste die Präsentation so zusammen: „Das sind viele Zahlen, aber die Grundaussage ist einfach: Die Stadtbahn ist die größte Klimaschutzmaßnahe, die wir vorhaben“. Und der OB sagte, Schott habe vorsichtig gerechnet: „mit meinen Zahlen ist die Stadtbahn in fünf Jahren amortisiert“.
Ernst Gumrich (Tübinger Liste) widersprach. Er hält 19 Jahre für realistisch und stellte die Prognose der Stadtverwaltung in Frage, etwa zum Strom- und Verkehrsmix. Er verwies auf ein von der Grünen-Bundestagsfraktion in Auftrag gegebenes Gutachten der Universität Eindhoven und sagte zu Palmer: „Ihre Annahmen stimmen nicht“. Der Wechsel zu den E-Autos nehme gerade Fahrt auf. Die 75.000 Tonnen CO2 bei der Stadtbahn seien sehr viel. Wichtig sei beim Klimaschutz der Faktor Zeit. Mit Bau und Amortisation würde die Stadtbahn frühestens 2040 klimawirksam werden. „Das kann man unter Umweltgesichtspunkten nicht akzeptieren“. Die Innenstadtstrecke sei für die Regionalstadtbahn insgesamt nicht nötig, sondern ein „Wurmfortsatz“. Ein Angebot des OB, den Bürgerentscheid um ein Jahr zu verschieben, lehnte er ab.
Christoph Joachim (AL/Grüne) nannte die Berechnungen Schotts eine „neutrale Grundlage“. Die Stadtbahn habe von allen Verkehrsarten den größten Klimaeffekt. Martin Sökler (SPD) geht zwar auch von deutlich mehr E-Autos im Jahr 2040 aus als von Schott angenommen. Doch: „Selbst wenn 100 Prozent E-Autos fahren, brauchen wir die großen Stadtbahngefäße für große Fahrgastmengen auf den Hauptachsen“. Die Innenstadtstrecke ist kein Wurmfortsatz, sondern das Herzstück“. Rudi Hurlebaus (CDU) sagte: „Die Alternativen, die ich kenne, sind keine Alternativen“. Dietmar Schöning (FDP) erklärte, ohne Innenstadtstrecke sei die Regionalstadtbahn „ein Treppenwitz“. Dem widersprach Gerlinde Strasdeit (Linke): „Die Innenstadtstrecke ist für uns unter Umweltgesichtspunkten voll daneben“. Sara da Piedade Gosmes („Die Fraktion“) sprach sich für schnelles Handeln und eine Seilbahn aus.
Der Ausschussexperte Ulrich Rochard lobte Schotts Berechnungen und sagte: „Die positive Wirkung der Innenstadtstrecke ist belegt“. Paula Mayer (Fridays for future) fasste zusammen: „Die Stadtbahn ist Klimaschützerin“. Tom Besenfelder vom Jugendgemeinderat erklärte, dieser sei bisher weder dafür noch dagegen. „Aus meiner Sicht ist das Hauptproblem nicht das Umsteigen am Hauptbahnhof, sondern der Weg von der Wohnung zur Haltestelle
Das Computerprogramm TREMOD (Transport Emission Modell) wird vom Umweltbundsamt, den Bundesministerien, dem Verband der Deutschen Automobilindustrie sowie der Deutschen Bahn zur Berechnung der Luftschadstoff- und Klimagasemissionen des motorisierten Verkehrs in Deutschland genutzt. In TREMOD werden alle in Deutschland betriebenen Personenverkehrsarten (Zweiräder, Busse, Bahnen, Flugzeuge) und Güterverkehrsarten (LKW, leichte Nutzfahrzeuge, Bahnen, Schiffe) erfasst. Die Basisdaten reichen von Fahr- Verkehrsleistungen und Auslastungsgraden bis zu den spezifischen Energieverbräuchen und den Emissionsfaktoren.
Viele Grüße vom Vielfahrer