SBB-Chef Meyer verlässt den Führerstand

Sonstiges, worüber man sich das "Maul" zerreisen kann.
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Vielfahrer
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SBB-Chef Meyer verlässt den Führerstand

Beitrag von Vielfahrer »

Die Neue Zürcher Zeitung (Nr. 206) befasst sich ausführlich in zahlreichen Berichten und Kommentaren mit dem angekündigten Rücktritt des SBB-Chefs Meyer.

Kritik an Managementfehlern der vergangenen Jahre

Überraschend hat Andreas Meyer, der CEO der SBB, am Mittwoch erklärt, dass er das Unternehmen spätestens Ende 2020 verlassen werde. Der Zeitpunkt für einen Wechsel sei richtig, weil der laufende Strategieprozess im kommenden Jahr abgeschlossen sei, begründete er seine Ankündigung. Meyer trat dem Vorwurf entgegen, er laufe von den Problemen davon. Er habe einen Entscheid bereits im Frühling gefällt, bevor die SBB wegen des tödlichen Unfalls eines Zugbegleiters und unzähliger Verspätungen massiv in Kritik gerieten.
Bundesrätin Simonetta Sommaruga bestätigte, dass der SBB-Chef sie schon im Frühling über seine Rücktrittsabsichten informiert habe. „Andreas Meyer hat große Verdienste für die SBB und den öffentlichen Verkehr in der Schweiz“, hielt die Verkehrsministerin fest. Demgegenüber erklärte Edith Graf-Litscher, die Präsidentin der nationalrätlichen Verkehrskommission, die neue Führung dürfe nicht Reorganisation um Reorganisation machen, sondern müsse eine Konsolidierung anstreben und dem Personal Wertschätzung entgegenbringen.
Die SBB-Verwaltungsratspräsidentin Monika Ribar sagte, was die Nachfolge Meyers betreffe, sei man auch offen für unkonventionelle Lösungen. Wichtig sei, dass eine Persönlichkeit für diese schwierige Aufgabe gefunden werde, die eine große Affinität zur Politik und zur Öffentlichkeit habe. In den kommenden Monaten will der Veraltungsrat sowohl interne als auch externe Kandidatinnen und Kandidaten prüfen. Bereits heute ist klar, dass der neue SBB-Chef weniger verdienen wird als ein Vorgänger. Meyer kam im vergangenen Jahr auf einen Lohn von 987.000 Franken. Diese Entlohnung wurde vom Bundesrat als zu hoch kritisiert.

NZZ-Redakteur Helmut Stalder: Unschöner Abgang des Schönfärbers

Im Sturm hat der Kapitän auf der Brücke zu stehen - das ist eine eiserne Regel in der Seefahrt. Sie gilt auch für ein Unternehmen wie die SBB. Jetzt hat SBB-Chef Andreas Meyer überraschend seinen Rücktritt bis spätestens Ende nächsten Jahres angekündigt - mitten im Sturm. Der energische, von vielen geschätzte und von sich selbst überzeugte Kapitän verlässt das Schiff, das zwar nicht in Seenot ist, aber derzeit heftig schlingert.

Meyers Verdienste in den 13 Jahren an der SBB-Spitze sind beachtlich. Er hat die Bahn modernisiert, das Angebot zu stabilen Preisen massiv ausgebaut, die Effizienz verbessert, die Digitalisierung vorangebracht und unlängst auch für das Sorgenkind SBB Cargo eine Lösung gefunden. Diese Leistungen sollen keineswegs bestritten werden. Seit längerem jedoch fahren die SBB im Krisenmodus. Die Beschaffung und Inbetriebnahme des neuen Fernverkehrs-Doppelstöckers FV-Dosto geriet zum Dauerdrama. Die SBB-Spitze war überfordert mit der Komplexität des Zugs und des Prozesses, obwohl Bestellung und Einführung neuen Rollmaterials zur Kernkompetenz eines Bahnunternehmens gehören.

Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit der SBB auf wichtigen Linien nehmen seit Monaten spürbar ab, obwohl dies für eine Bahn das Maß aller Dinge und der große Vorteil gegenüber der Straße ist. Vollends in den Krisenmodus führt der tödliche Unfall von Baden. Er förderte ein inakzeptabl hohe Zahl von defekten Türen und damit systematische technische Sicherheitsdefizite und Mängel im Unterhalt zutage, die noch längst nicht bewältigt sind. Jetzt, da Meyer als Krisenmanager gefordert ist und auch das Mißtrauen der Politik steigt, verlässt er den Führerstand.

Der SBB-Chef stellte sich immer gern als dynamischen, innovativen, visionären Macher dar, der seinen Laden mit 33.000 Angestellten im Griff hat. Unter seiner Führung haben die SBB auch die PR-Doktrin verinnerlicht, das Unternehmen stets im besten Licht erscheinen zu lassen - Imagepflege bei jedem Atemzug für die Bahn und den Chef, der sie verkörpert. Auch jetzt, vor Meyers Rücktrittsankündigung, wurde die Nation mit Good News bombardiert, offensichtlich um die realen Krisenherde zu übertexten und es so aussehen zu lassen, als gehe der Chef zu einem Zeitpunkt, da sein Haus wohlbestellt ist.

Meyer beeilte sich dann auch um zu betonen, er habe sich bereits im Frühjahr zum Rücktritt entschieden, was Bundesrätin Simonetta Sommaruga bestätigte. So soll offenbar jeder Eindruck vermieden werden, der Abgang könne irgendetwas mit der Krisenlage zu tun haben oder sei gar auf Druck der Politik oder auf Druck der Verwaltung erfolgt. Der begnadete Selbstdarsteller versucht auch noch seinen Abgang mitten in der Krise zur persönlichen Imagepolitur zu nutzen.

Meyer hat den idealen Zeitpunkt für den Rücktritt verpasst. Der Kapitän hätte das Kommando abgeben sollen, bevor sich die Probleme zu häufen begannen. Dann wäre er unbestritten als der fähigste Bahnmanager der besten Bahn der Welt abgetreten. Oder er dürfte die Brücke erst verlassen, wenn die gegenwärtigen Stürme überstanden sind. Jetzt, mit dem Angekündigten Abgang mitten im Sturm, erweist er sich als Schönwetterkapitän.

Viele Grüße vom Vielfahrer
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