Minister Hermann (MVI) in Altensteig

Sonstiges, worüber man sich das "Maul" zerreisen kann.
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Vielfahrer
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Minister Hermann (MVI) in Altensteig

Beitrag von Vielfahrer »

Hallo,

heute abend hielt Minister Winfried Hermann einen sehr beachtenswerten Vortrag beim Haus- und Grundstücksbesitzer-Verein in Altensteig zum Thema Mobilität im ländlichen Raum. Während etwa 2/3 der Bevölkerung in Baden-Württemberg in Verdichtungsräumen wohnen, lebt nach seinen Worten etwa 1/3 der Bevölkerung im sogenannten ländlichen Raum. Dieser umfasst etwa 2/3 der Landesfläche, während die Verdichtungsräume ca. 1/3 ausmachen. Völlig klar, dass da unterschiedliche Fragestellungen entstehen. Auch ein zweiter Punkt fiel ihm besonders auf. Das gefühlte Durchschnittsalter der Zuhörer mag über 65 Jahren gelegen haben, weshalb er sogleich die demographischen Entwicklungen angesprochen hat. Im ländlichen Raum war seither der öffentliche Nahverkehr vorwiegend auf Busse ausgerichtet, die sich wiederum über den Schülerverkehr und seine Subventionen finanzierten. Mit den wegbrechenden Schülerzahlen entsteht eine Reformnotwendigkeit, da ansonsten der ÖPNV im ländlichen Raum nicht mehr finanzierbar ist. Kernthesen von ihm waren die 5 V's: Verkehr vermeiden (Siedlungspolitik z.B), Verkehr verbessern (z.B. elektrischer Antrieb), Verkehr verlagern (z.B. Güterverkehr auf die Bahn), Verkehr vernetzen (z.B. Schaffung geeigneter Transportketten) und Vorbild im Verkehr sein (indem z.B. auch Minister, Bürgermeister, Gemeinderäte usw. mit dem öffentlichen Verkehr fahren, wo es möglich ist). Natürlich ging er auf die Situation im Nordschwarzwald besonders ein, etwa auf die völlig desolate Straßenverbindung zwischen Iselshausen und Haiterbach (Landesstraße), der er ab dem Jahr 2016 Mittel in Aussicht stellte. Volle Unterstützung kam von ihm für die Hermann-Hesse-Bahn, also die Bahnverbindung Calw - Weil der Stadt, der Haus- und Grundstücksbesitzer-Verein überreichte Herrn Minister Hermann eine Studie zu einer direkten Bahnverbindung Nagold - Herrenberg aus dem Jahre 1904. Hermann versprach, die Studie sofort in seinem Ministerium überprüfen zu lassen, ob die genannten Kosten noch haltbar wären. Eines zeichnete ihn aus: Was er sagte, kam gut an und war glaubhaft. So etwa traf er bei Amtsübernahme versprochene Straßenprojekte in einer finanzielle Höhe an, die bei der durchschnittlichen Mittelzuweisung der vergangenen Jahre ca. 70 Jahre Zeit benötigt hätte, um sie abfinanzieren zu können. Auch beim öffentlichen Verkehr wäre der Bedarf höher als die zur Verfügung stehenden Mittel. Aus diesem Grund käme man nicht umhin, den Fördersatz zu reduzieren, um ggf. mehr Projekte umsetzen zu können.
Detaillierte Sachkenntnis etwa beim Metropolen-Ticket und seinen Tarifbestimmungen zeichneten den Minister aus, der sehr anschaulich erklären konnte, weshalb etwa günstige Tickets für Ältere (wie die Fragesteller aus dem Haus- und Grundstücks-Verein) erst nach 9 Uhr und nicht schon vor 9 Uhr gelten können.
Nachdem im Nordschwarzwald die Einrichtung eines Nationalparks nunmehr beschlossen ist, skizzierte Minister Hermann, wie man den Nationalpark mit öffentlichem Verkehr umweltfreundlich erschließen könnte.
Dass man sehr viel in Punkto Vernetzung von Verkehren machen könnte, erwähnte er am Beispiel des Ringzugs im Schwarzwald-Baar-Kreis und der beabsichtigten Neuausrichtung der Donautalbahn. Es sei aber nicht so, dass andere Landesregierungen vor ihm nichts für den Radverkehr getan hätten. Beim ihm jedoch hätte der Fahrradverkehr einen höheren Stellenwert erhalten. Wenn einer käme und Geld für z.B. 2 km Radweg haben wollte, würde er abschlägig beschieden, wenn nicht eine stringente Radwegekonzeption mitgeliefert würde. Minister Hermann will die Nutzung von Fahrrädern gerade im Alltagsverkehr steigern, Sportfahrer hingegen stehen nicht in seinem Fokus. Ausführlich berichtete er über Car-Sharing-Ansätze und über Bürgerbusse. Hierfür hätte das Ministerium inzwischen ein Kompetenz-Zentrum eingerichtet, weil die Zukunft des Verkehrs im ländlichen Raum aufgrund der wegbrechenden Schülerverkehre sich vom schülerverkehrsbasierten ÖPNV hin zu einem ÖPVN insbesondere auch für ältere Bürgerinnen und Bürger ausrichten müsse. Bürgerbusse wären da eine große Hilfe und er versprach, alle Aktivitäten entsprechend zu unterstützen. Natürlich kam Minister Hermann auch auf die mangelnden Regionalisierungsmittel zu sprechen, ebenso auf das auslaufende GVFG (2019) und mahnte beim Bund an, hier für Klarheit zu sorgen.

Leider fuhr das letzte ÖPNV-Verkehrsmittel aus Altensteig schon um 20:43 Uhr gen Herrenberg ab, so dass nichts anders übrig geblieben ist, als mit dem PKW nach Hause zu fahren. Zuvor bin ich aus Freudenstadt mit dem RVS (Linie 7938) gefahren und habe dabei diverse Straßenbau-Orgien besichtigt. Was da in den letzten Jahren bzw. Jahrzehnten in die Straßeninfrastruktur gesteckt wurde, ist schon gigantisch.

Viele Grüße vom Vielfahrer
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